[[Slogan]]
POLITiS Studienkreis
09.06.2014

Vorarlberg: das Mekka der Bürgerräte

Lernen von den Nachbarn bei der Bürgerbeteiligung

Vorarlberg: ein Mekka der Bürgerräte

Wer das Beteiligungsverfahren des Bürgerrats kennenlernen will, pilgert am besten ins Ländle. 32 Bürgerräte hat das Bundesland Vorarlberg seit 2006 abgehalten, und seit März 2011 werden in Vorarlberg auch auf Landesebene halbjährlich Bürgerräte durchgeführt. Mit der Verankerung der partizipativen Demokratie in der Landesverfassung im Jänner 2013 wurde der Bürgerbeteiligung und damit den Bürgerräten zusätzliches Gewicht verliehen. Vor wenigen Wochen hat die Koordinierungsstelle für die Bürgerräte, das Zukunftsbüro der Vorarlberger Landesregierung, eine ziemlich positive Zwischenbilanz gezogen (vgl. www.vorarlberg.at/zukunft).

Was ist ein Bürgerrat? 12-16 Bürger und Bürgerinnen einer Gemeinde werden per Los ausgewählt, um zwei Tage lang ein für die Gemeinde wichtiges Thema zu beraten. Spezielle Vorkenntnisse und Vorbereitung sind nicht erforderlich. In kleiner Runde und begleitet durch professionelle Moderatoren diskutieren die Bürger, tauschen sich über Erfahrungen, Wünsche, Vorschläge und Zukunftsaussichten aus. Bürgerräte schließen mit Berichten ab, die nicht unbedingt konkrete Projekte umfassen, sondern der Politik Empfehlungen und Vorschlägen auf den Weg geben.

Welchen Einfluss hat dann ein Bürgerrat auf die politischen Entscheidungen? Die Ergebnisse eines Bürgerrats werden einige Wochen später bei einer öffentlichen, von der Gemeinde organisierten Veranstaltung - dem Bürgercafé - vorgestellt und mit den Gemeindepolitikern diskutiert. Anschließend werden die Ergebnisse von einer eigens eingerichteten Resonanzgruppe, bestehend aus Vertretern von Politik und Verwaltung, aufgegriffen. Diese öffentliche Diskussion trägt dazu bei, dass die Gemeindebürgerschaft insgesamt in einen Dialog tritt. Die Politiker, gleich ob auf Gemeinde- oder Landesebene, verpflichten sich vorab, sich mit den Ergebnissen und Ideen der Bürgerinnen auseinanderzusetzen und sie nach Möglichkeit zu beherzigen.

Bürgerräte haben sich bewährt als ein Sensorium in die Bürgerschaft zwischen den Wahlen. Immer mehr Vorarlberger fühlen sich motiviert, an einem solchen Bürgerrat mitzumachen, weil man ganz frei als Bürger, nicht als Vertreter von Partikularinteressen über Fragen des Gemeinwohls diskutiert. "Mit einem Bürgerrat wird ein Raum geschaffen," erläutert Manfred Hellrigl, Leiter des Vorarlberger Zukunftsbüros, "wo Menschen in ihrer Vielfalt zusammenkommen, unterschiedliche Meinungen artikulieren, sich aber nicht als Gegner betrachten, denn in unserem normalen fragmentierten Leben erleben wir kaum mehr, dass wir uns mit Andersdenkenden auseinandersetzen müssen. So aber kann ein neues Zielbild auftauchen."

Ein gelungener Bürgerrat führt - so die bisherige Erfahrung - zu einem umfassenden Verständnis einer politischen Situation oder eines Problems. Nicht so sehr eine Liste umzusetzender Projekte sei das Ergebnis, sondern die Verständigung zwischen Bürgern, worauf weitergehende Schritte aufbauen können. In Vorarlberg setzt man stark auf solche Formen der Partizipation, um eine möglichst qualifizierte, offene Meinungsbildung zu erlauben. Auch komplexe Fragen der Stadtentwicklung wie das Seestadt-Projekt in Bregenz, sind mit Bürgerräten bewältigt worden.

Ein Bürgerrat ist nicht zu verwechseln mit direkter Demokratie, also Volksrechten auf Mitentscheidung in der Politik. Im Vordergrund steht vielmehr die Verständigung, die Klärung, die Meinungsbildung und der Dialog auf Augenhöhe mit den Politikern. Bürgerräte stehen aber nicht in Konkurrenz zu direktdemokratischen Verfahren und zur gewählten politischen Vertretung, unterstreicht Hellrigl. Vielmehr bilden sie eine sinnvolle Ergänzung zum heutigen System, um einen Raum für qualifizierte, politische Diskussion und auch mehr Dialog zwischen den gewählten Vertretern und der Bevölkerung zu schaffen.
Thomas Benedikter
 

  zurück