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POLITiS Studienkreis

Unter mein Huat

Klimaschutz im Bundesland Tirol

Warum nicht lernen vom nördlichen Nachbarn?

Das Bundesland Tirol hat vor genau zwei Jahren (25.5.2021) seine umfassende „Nachhaltigkeits- und Klimastrategie“ beschlossen. Im April 2022 folgte das erste Maßnahmenprogramm zur Umsetzung dieser Strategie. Hier das Umsetzungsprogramm zum Klimaschutz auf einen Blick.
Mit über 190 Maßnahmen für den Zeitraum 2022-2024 will Tirol der Klimaneutralität näherkommen. Diese soll, wie in Südtirol, 2040 erreicht werden, bundesweit erst 2045.


2050 will Tirol zudem „energieautonom“ sein, d.h. es will seinen Energiebedarf bis dahin vollständig mit heimischen erneuerbaren Energieträgern decken, allerdings per Saldo. Das heißt, auch nach 2050 wird Tirol erneuerbare Energie primär aus Wasserkraft exportieren. Im Gegenzug kann es bei saisonal bedingter Wasserkraftebbe regenerativ erzeugten Strom auch von außen importieren. In Südtirol versteht man die „Energieautonomie“ anders, aber die Notwendigkeit eines Stromverbunds ist dieselbe.

Tirol setzt auf Fotovoltaik und Wasserkraft

Sämtliche in Tirol nutzbaren erneuerbaren Ressourcen sollen bestmöglich ausgeschöpft werden, so der Plan. Doch im Unterschied zum Südtiroler Klimaplan soll im Norden die Wasserkraft als wichtigste Ressource weiter ausgebaut werden. Bis 2036 wollen die Nordtiroler die Produktion per Saldo um weitere 2.800 GWh gegenüber 2011 erweitern. Das ist immerhin mehr als ein Drittel der gesamten Südtiroler Stromerzeugung aus Wasserkraft (6.800 GWh). Einige Projekte, mit denen dieses Ausbauziel zu 39% erreicht wird, sind bereits genehmigt worden, befinden sich im Bau oder wurden fertiggestellt. Für weitere 50% des Ausbauziels gibt es konkrete Projekte (Maßnahmenprogramm, S.16).

Geht man in Nordtirol zügig zu Werke, ist Südtirol beim Ausbau der Wasserkraft vorsichtig (Klimaplan Südtirol 2040, S.41): die noch verbliebenen Potenziale an Fließgewässern sollen bis zur nächsten Ausschreibung von Großkonzessionen nicht mehr hydroelektrisch genutzt werden. Vielmehr setzt man bei uns auf den Netzausbau, auf die Effizienzsteigerung bei den bestehenden Anlagen sowie auf die Fotovoltaik, wo bis 2037 +800 MW Leistung zusätzlich installiert werden soll. Der DfNUS stellt sich gegen einen weiteren Ausbau der Wasserkraftnutzung. Der SEV und die Handelskammer sehen noch ein großes Potenzial, und zwar für immerhin 2.000 GWh (=2 TWh, vgl. DOLOMITEN, 20.5.23). Sie scheinen allerdings noch nicht die Rechnung mit der tendenziell sinkenden Stromproduktion aus den bestehenden Wasserkraftwerken gemacht zu haben. Auf der Alpensüdseite wie in ganz Italien geht die Schneemenge Jahr für Jahr zurück, und parallel dazu sinkt die Stromproduktion.

Wie Südtirol will auch Tirol die Fotovoltaik massiv fördern, vor allem durch die Erleichterung des Netzzutritts von PV-Stromerzeugern, also durch Einspeisung des privat erzeugten Stroms. Wie Südtirol will sich Tirol mit einem Standort des bundesweiten „Wasserstoffclusters“ auch bei der Herstellung von grünem Wasserstoff etablieren. Gibt es hier bereits Kooperationen mit Südtirol?

Um den Weg zur Klimaneutralität bei der Energieversorgung durchzurechnen, hat das Land Tirol in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck, dem MCI und Wasser Tirol eine vorbildliche Studie erstellt („Energie-Zielszenario Tirol 2050 und 2040 mit Zwischenziel 2030“, Innsbruck 2021 ), die das gesamte nutzbare Potenzial genau erfasst. Einbezogen werden alle erneuerbaren Energieträger: Wasserkraft, Sonne, Biomasse, Umweltwärme, Tiefengeothermie, Wind, industrielle Abwärme. Auf dieser Grundlage konnte das Land Tirol ein schlüssiges Szenario 2050 für den Energiebedarf und die Energiebedarfsdeckung in allen Sektoren entwickeln. Ein wichtiges Instrument bei der Umsetzung der Energiewende.

Ein schlüssiger Entwicklungspfad bei der Wärmeenergie

Wie in Südtirol (geschätzt noch 80.000 fossil beheizte Wohnungen) ist die Dekarbonisierung des Raumwärmebedarfs auch in Nordtirol eine der größten Herausforderungen des Klimaschutzes. Noch nutzen 118.000 Tiroler Haushalte, also rund jeder zweite Haushalt, fossile Energieträger wie Öl und Gas für die Beheizung. Hier setzt man auf Wärmepumpen möglichst in Kombination mit Fotovoltaik, auf den Ausbau des Fernwärmenetzes, auf die Wärmedämmung. In einem „Klimapaket Wohnbauförderung“, in Kraft seit 1.9.2020, wird die Sanierung und der Ausstieg aus Öl und Gas bei der Heizung stark gefördert. Ein „Ökopaket Wohnbauförderung“ umfasst eine Reihe von Maßnahmen für CO2-neutrales Heizen. Besonders wichtig die Erstellung eines Ausstiegsplans aus fossilen Brennstoffen für Raumheizung und Warmwasser im Gebäudebereich. Gefördert werden auch der Ausbau und die Produktion von Wärmepumpentechnologie mit langfristigen Garantien für Förderungen an Private.
Einen besonderen Schwerpunkt legt das Tiroler Klima-Maßnahmenprogramm aufs nachhaltige Bauen durch den Einsatz nachwachsender Roh- und Baustoffe, durch eine „Lebenszyklusbetrachtung“ der Gebäude und mehr Kreislaufwirtschaft im Gebäudebereich. Die kreislauffähige Gebäudekonstruktion soll verbessert, eine „Holzbauquote“ eingeführt werden. Interessant auch die Maßnahmen zur „Sommertauglichkeit“ der Gebäude, die für Südtirol noch relevanter wäre als für Nordtirol, sowie eine Ausbildungsoffensive im Holzbau und beim Einsatz nachhaltiger Baustoffe. Was macht dazu das NOI, was machen unsere Forschungsinstitutionen, was das Land Südtirol?

Mehr Nord-Süd-Zusammenarbeit möglich?

Dies nur einige Beispiele für die laufende Planung und die begonnenen und durchfinanzierten Maßnahmen des Bundeslands Tirols im Klimaschutz, während in Südtirol noch diskutiert wird. Insgesamt bietet das Tiroler Maßnahmenprogramm 2022-2024 „Leben mit Zukunft“ eine Fülle von Maßnahmen, die direkt auf die Südtiroler Realität übertragbar wären, weil wir zahlreiche Ähnlichkeiten in vielen Bereichen vom Verkehr über die Gebäudequalität, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur aufweisen. Das heute vorliegende Arbeitsdokument zum Klimaplan Südtirol 2040 (Teil 2) bleibt weit hinter den vor einem Jahr beschlossenen Programmen zum Klimaschutz der Nordtiroler zurück. Man fragt sich, warum Bozen und Innsbruck bei der zentralen politischen Aufgabe des Klimaschutzes nicht enger zusammenarbeiten.

Thomas Benedikter
24.5.2023

HGV und Klimaschutz

Der eiserne Zwang zum Wachstum

Die Südtiroler Hoteliers begreifen sich als Wohlstandsmaschine, so der Tenor der 60-Jahr-Feier des HGV. Die Bäume wachsen dort noch immer in den Himmel, jetzt halt IDM-zertifiziert nachhaltig.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass permanentes Wachstum keine Zukunft hat. Auch nicht im Südtiroler Tourismus, der seit 60 Jahren ungebrochen wächst und 2023 bei den Gästeankünften voraussichtlich die 8-Millionen-Marke knacken wird. Das bringe ja Wohlstand ins Land, so die Touristiker, und deklarieren ganze Destinationen als "nachhaltig". Doch grünes Wachstum ist eine Illusion, denn die Entkopplung von Wachstum einerseits und Energie- und Materialverbrauch andererseits klappt nur sehr begrenzt. Schon gar nicht im Tourismus.


Die größtenteils fossil betriebene Mobilität bei immer kürzerer Aufenthaltsdauer lässt sich nicht von Energieverbrauch und CO2-Emissionen abkoppeln, der Materialverbrauch beim Bau touristischer Kubatur noch weniger. Mehr Tourismus heißt unvermeidlich mehr Verkehr, mehr verbaute Fläche, mehr Abfall, mehr Energieverbrauch und mehr CO2-Emissionen. Ein banaler Zusammenhang, der anscheinend beim HGV noch nicht angekommen ist.

Die Lobby der Touristiker kämpft deshalb unverdrossen für das Recht auf Wachstum. Klimakrise und Klimaschutz scheint dort leeres Gerede zu sein, oder ein Problem, um das sich andere kümmern sollen. Harter Fakt im Tourismus ist hingegen der Kapitalverwertungszwang. Die Bettenkapazität und Wellnessbuden stehen und wollen gefüllt werden, Kredite wollen bedient, Märkte bearbeitet werden. Die oberen Segmente legen noch zu, die unteren bauen ab. Also heißt es nachrüsten und damit geht die Gesamtkapazität nochmals nach oben. Die Jungunternehmer stehen bereit, kapitalkräftig und tatendurstig, um mit Chaletdörfern und Hide-Aways über die Landschaft herzufallen.

Die Jungen müssten auch die Chance auf Entfaltung haben, meinte sinngemäß HGV-Pinzger auf RAI-Südtirol. Doch „Entfaltung“ geht im Tourismus immer nur in Form von neuer Kubatur und Flächenversiegelung, zusätzlichem Beton und Verkehr. So dreht sich die Spirale weiter, als gäbe es keinen Klimawandel.
Das zeigt sich auch bei der letzten Szene der Auseinandersetzung zwischen Hotellerie und Landesregierung: die quantitative Erweiterung der Hotelbetriebe im landwirtschaftlichen Grün. Dem HGV war seitens der Landesregierung zugesagt worden, dass alle gastgewerblichen Betriebe im landwirtschaftlichen Grün um 30% der überbauten Bestandsfläche erweitern dürfen. Jetzt hingegen soll diese Erweiterung um max. 30% der Bestandsfläche nur mehr für die kleineren Betriebe bis 12.000 Kubikmeter Bestandskubatur gelten. Die größeren Betriebe, in der Regel mit über 80 Betten, dürfen dann nicht mehr erweitern (DOLOMITEN, 20.4.2023).

Auch in dieser Form würde diese Bestimmung zu einem erheblichen Ausbau der Beherbergungskapazität und zu neuer Klimabelastung führen. Während die privaten Haushalte unter der notwendigen Heizungsumrüstung ächzen, dürften dann Hotels bis 80 Betten jede Menge neuer energiefressender Wellnessbuden auf die grüne Wiese stellen und würden dafür auch noch gefördert.

Die Crux liegt in der Eigendynamik des Tourismusmarktes. Je mehr in Kubatur und Bespaßungsanlagen für immer anspruchsvollere Gäste investiert wird, desto mehr muss die Werbemaschine (teils über die steuerfinanzierte IDM) heiß laufen, müssen alle Kanäle mit Werbung für den „begehrtesten Lebensraum“ geflutet werden, um die Betten zu füllen. In ihrer unternehmerischen Logik kommt die Branche aus dem Wachstumszwang nicht heraus, wie die Fischfangbranche, die mit immer größeren Schiffen überfischte Gewässer ausbeutet und mittelfristig trockenlegt.

Nur eine letzte Grenze könnte den Hoteliers zu schaffen machen. Es kommen immer weniger Arbeitskräfte, die für Billiglöhne in den Südtiroler Betrieben schuften wollen. Die touristische Kapitalverwertung könnte just an diesem menschlichen Faktor an eine physische Grenze stoßen, die ihr die Politik nicht wirklich setzen will.


Klimaschutz in Italien 2022

EINE DURCHWACHSENE KLIMABILANZ

Jetzt liegen die Daten für 2022 vor. Die „Key Trends“ zum Klimaschutz in Italien lassen stark zu wünschen übrig: es geht einfach zu langsam.

In Italien hat die Energiekrise im Gefolge des russischen Überfalls auf die Ukraine und der Verknappung der Gaslieferungen aus Russland zu einem Rückgang des Verbrauchs fossiler Energie geführt. Der erzwungene, aber mittelfristig ohnehin unausweichliche Ausstieg aus dem russischen Gas (wie aus dem Gas insgesamt) und der Einbruch bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft aufgrund der Dürre haben den nationalen Energiemix bei der Stromerzeugung verschlechtert, weil mehr Kohle und Erdöl verstromt werden mussten.


Das betrifft auch Südtirol, dessen Stromverbrauch sich zu einem beträchtlichen Anteil aus dem nationalen Strommix speist. Die Wasserkraft, immer noch stärkste Einzelquelle erneuerbare Energie in Italien, hat einen Tiefpunkt seit 20 Jahren erreicht. In der Folge konnte auch der Gesamtumfang der CO2-Emissionen gegenüber 2021 nicht gesenkt werden.

2022 mussten im Durchschnitt 300 Euro für eine Megawattstunde (MWh) hingeblättert werden: eine enorme Kostenbelastung für die Verbraucher, bedenkt man, dass 2021 eine MWh nur an die 125 Euro gekostet hatte. Das kommt einer schockartigen, sozial nur wenig abgefederten Einführung einer CO2-Steuer gleich, von der verständlicherweise heute in Italien kaum jemand mehr spricht. Derzeit sorgen die Märkte selbst für den Preisauftrieb und das bewirkt notgedrungen Einschränkung und Verbrauchsrückgang bei Strom und Wärme. Die Energiekosten waren auch der wesentliche Treiber der Inflation der Verbraucherpreise insgesamt. Zudem bleibt Italien bei der Energie stark vom Ausland abhängig: der Import fossiler Energieträger hat 2022 78% des Energieverbrauchs gedeckt.

Eine gute Nachricht betrifft die Energieintensität der italienischen Wirtschaft. Das BIP ist um 3,4% gewachsen, der Energieverbrauch um 3% gesunken. Damit ist die Energieintensität der Produktion in Italien um 7% gesunken. Ein kleines Zeichen dafür, dass die Entkopplung der Entwicklung des BIP vom Energieverbrauch gelingen kann. Dies gilt aber nicht für die Entkopplung von BIP und CO2-Emissionen. Weil Italien nämlich mehr Kohle und Öl für die Stromerzeugung verbrannt hat und auch bei der Neu-Installation von erneuerbarer Energie zurückhinkt, sind die Gesamtemissionen gleich geblieben. Wenn es so weitergeht – so schlussfolgert Italy for Climate – wird Italien die Klimaneutralität erst 2220 erreichen.

Bei der Stromerzeugung aus Fotovoltaik ist Italien auch 2022 noch nicht durchgestartet. 3 Gigawatt mehr an installierter Leistung entspricht wenig mehr als einem Viertel der 11 GW, die in Deutschland im Jahr 2022 dazu gebaut worden sind, und das bei geringerer Sonneneinstrahlung. Um die gesetzten Klimaziele bis 2030 zu erreichen, muss Italien 10 GW Fotovoltaik pro Jahr realisieren. Der Staat und die Privaten haben noch viel zu tun. Der Superbonus 110% hat der Fotovoltaik zwar mit fast 600.000 sanierten und zum Teil PV-bestückten Wohnungen einen Schub verliehen. Letztlich hat dies den Energieverbrauch des italienischen Gebäudebestands nur um 1% gesenkt. Der Superbonus müsste eigentlich ausgebaut und bis 2050 durchfinanziert werden, zusammen mit Beiträgen für E-Autos und Fotovoltaik. Hat der italienische Staat dieses Geld?

Ein ganz widersprüchliches Bild schließlich bei der Elektrifizierung von Heizung und Mobilität. Während in Italien einerseits 135.000 Wärmepumpen mehr als noch 2021 angeschafft worden sind, sind andererseits nur mehr 49.000 voll elektrische PKW gekauft worden (im Vergleich: Deutschland 471.000 Fahrzeuge). Ein Rückgang von besorgniserregenden -27%, als ob die italienischen Familien aufgrund von hohen Ausgaben für Sanierung, Wärmepumpen und Energiekosten einfach kein Geld mehr für teurere Elektroautos gehabt hätten.

Thomas Benedikter
9.5.2023


Gebäudeheizung und Klimaschutz

Was kommt nach dem Superbonus?

Italiens Gebäudebestand ist im europäischen Vergleich alt und ineffizient. 44% des italienischen Endenergieverbrauchs geht für die Heizung und Kühlung drauf. Wo bleibt ein langfristiger Plan, wie Millionen fossil beheizte Wohnungen und Gebäude umgerüstet werden sollen?
Der 110% Superbonus war in letzter Zeit stark umstritten. Weil seine Fortsetzung ein Riesenloch in den Staatshaushalt zu reißen droht, trat die Regierung Meloni Ende 2022 brüsk auf die Bremse und hat ihn seit 2023 auf 90% gekürzt. Tausende von interessierten Immobilieneigentümern und unzählige Firmen im Bauhaupt- und Baunebengewerbe fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Die Folge war eine starke und verbreitete Unsicherheit, wie es bei der öffentlichen Förderung der Thermosanierung weitergeht.


Was in dieser Diskussion aus dem Blickfeld geriet, war die Wirksamkeit dieser Maßnahme im Sinne höherer Energieeffizienz der Gebäude. Die Regierung Conte hatte 2021 dieses Programm angesetzt mit dem Hauptzweck, den Gebäudebestand Italiens zu sanieren, den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu senken. Der Superbonus hat tatsächlich einen Investitionsboom ausgelöst (bis Februar 2023 72 Mrd. Euro), die CO2-Emissionen etwas reduziert, die Heizungskosten der Nutznießer gesenkt und daneben auch für mehr Beschäftigung im Baugewerbe gesorgt. Doch bis heute sind nicht einmal 400.000 Häuser dank Superbonus thermosaniert worden. Zu wenig wirksam sind außerdem die staatlichen Förderungen für den Ersatz der fossilen Heizanlagen.

Somit frisst der Gebäudebestand Italiens trotz Superbonus bis heute gewaltig viel Energie, zum Großteil aus fossiler Quelle. Die Beheizung von öffentlichen und privaten Gebäuden verursacht 44% des Endverbrauchs an Energie (in Südtirol verantwortlich für 17% der CO2-Äquivalente), zwei Drittel davon in privaten Wohnungen. Die Energieeffizienz der Gebäude liegt im Durchschnitt wesentlich unter dem EU-Durchschnitt. Eine Durchschnittswohnung verbraucht in Italien im Schnitt 50% mehr Energie als eine vergleichbare Wohnung in der EU allgemein. Während in anderen Ländern der Energieverbrauch für die Heizung von 2000 bis 2019 zwischen 15 und 20% gesenkt werden konnte, ist er in Italien ziemlich unverändert geblieben, eben bis zum Superbonus.

Der Superbonus hat trotz des Riesenaufwands seitens des Staats in knapp zwei Jahren nur zur Sanierung von etwa 400.000 Häusern mit rund einer Million Wohnungen geführt. Weniger als 1% des Energieverbrauchs der Gebäudeheizung ist dadurch eingespart worden. Verglichen mit dem Aufwand ist das wenig. Auch nach diesem jetzt zwei Jahre dauernden Boom verbleiben über 20 Millionen sanierungsbedürftige Wohnungen. Für Klimaneutralität 2050 müssten somit jedes Jahr fast eine Million Wohnungen wärmegedämmt werden.

Steht auf der einen Seite dieser starke Anstoß für die Sanierung und Energieeffizienz bei den Gebäuden, steht auf der anderen ein sehr hoher Subventionsaufwand (mind. 65 Mrd. an Kosten für den Staat), zu einem beträchtlichen Anteil zugunsten von Gutverdienenden. Aus heutiger Sicht überzogen war die Entscheidung, den Bauherren mehr als die aufgewendeten Gesamtkosten zurückzuerstatten (eben 110%) und das in Form eines auf Dritte übertragbaren Steuerguthabens. Auch der Preisauftrieb durch eine plötzliche und überschießende Nachfrage auf dem Baumarkt war absehbar.

Italy for Climate hat schon im Juli 2022 auf diese Gefahren hingewiesen und Änderungsvorschläge zum Superbonus-System vorgelegt, wie z.B.:
• Die öffentlichen Beiträge sollen im Ausmaß gesenkt werden, dafür aber das öffentliche Anreizsystem zeitlich gestreckt werden.
• Die Beitragshöhe sollte an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bewerbers (ISEE) gekoppelt werden.
• Ein Kontrollsystem auf den Märkten für Bau- und Dämmmaterial sowie für Wärmepumpen soll überzogenem Preisauftrieb vorbeugen.
• Die Förderungsmodalitäten sollen einfacher und betrugssicher gestaltet werden.

So könnten sich Millionen von Wohnungseigentümern mit geringerem Einkommen die Sanierung und Umrüstung ihrer Häuser leisten und mit erneuerbarer Energie (vor allem Fotovoltaik) unabhängig von Gas und Öl werden. Durch die Elektrifizierung lässt sich der Energieverbrauch der Wohnungen (Heizen, Kochen, Kühlen vor allem) im Schnitt um 60% senken genauso wie die CO2-Emissionen aus der Gebäudeheizung. Zudem stellt sich die Frage, warum die Wohnbaupolitik einschließlich der Thermosanierung nicht vollständig den Regionen übertragen werden soll. Mit den nötigen Finanzen könnten die Regionen ein lokal angepasstes und langfristig angelegtes Anreizsystem für ihren Bedarf aufziehen, das effizienter und bürgernäher verwaltet würde als ein zentral über Steuerguthaben gelenktes Fördersystem.

Auch in Südtirol hat der Superbonus 110% viel an Sanierungsaktivität ausgelöst. Doch immer noch gibt es 70-80.000 Wohnungen, die mit Gas oder Öl beheizt werden. Die Umrüstung wird viele Jahre in Anspruch nehmen. Gemäß Klimaplan Südtirol 2040 soll der Verbrauch von Öl und Gas für Heizzwecke bis 2030 um 60% reduziert werden, bis 2037 sogar um 85%. Dies soll durch eine Reduktion des Wärmebedarfs um 20% sowie durch die Substitution von Öl und Gas durch klimaneutrale Energieträger erreicht werden. Allein, der Klimaplan Südtirol 2040 umfasst keinen genaueren Entwicklungspfad des Wärmeenergiebedarfs bei der Gebäudeheizung. Ab 2023 dürfen keine mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizkessel zur Wärmeerzeugung in Wohngebäuden eingebaut werden, welche sich in der Versorgungszone eines Fernheizwerkes befinden, so der Klimaplan Teil 2. Außerhalb dieser Zonen sowie beim Austausch der Heizanlage ist die Verwendung von fossilen Brennstoffen nur mehr dann erlaubt, wenn der Einbau von Wärmepumpen, Solaranlagen, Biomasseanlagen und anderen Energieerzeugern aus erneuerbaren Quellen aus technisch-wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen werden muss. Was das konkret bedeutet, ist noch offen. Von einem allgemeinen, für alle zugänglichen Förderungsprogramm des Landes für die Umrüstung bestehender fossiler Heizungen ist in diesem Plan aber keine Rede. Um Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, wird es unverzichtbar sein, nicht nur die Wärmedämmung der Gebäude, sondern auch die Elektrifizierung der Gebäudeheizungen viel stärker zu fördern als bisher.

Thomas Benedikter
3.5.2023

Urbanistik

Quantitative Erweiterung versus Klimaschutz

„Urbanistikbombe“ fürs Gastgewerbe oder Frontalangriff gegen die Landschaft?

In der Raumordnung erweist sich, ob die Landesregierung ihre eigenen Pläne überhaupt ernst nimmt.
Der am 20.4.2023 von der Landesregierung vorgestellte Teil 2 des Klimaplans bringt zur Raumordnung nicht viel, außer eine deutliche Ansage unter Punkt 15.9: „Die Nettoneuversiegelung soll bis 2040 auf Null gebracht werden…Erstens muss die Nettoneuversiegelung pro Jahr so gering wie möglich gehalten werden und zweitens sind möglichst viele versiegelte Flächen in einen ökologisch hochwertigen Zustand rückzuverwandeln.“ So steht es im Entwurf für den Teil 2, der im Juni verabschiedet werden soll. Wenn dem so wäre, müsste die Landesregierung den Landschaftsschutz gleich schon rigoroser regeln, um den Flächenverbrauch zu reduzieren bzw. die bestehenden Grenzen laut Gesetz für Raum und Landschaft konsequent anzuwenden.

Allein, es geschieht das Gegenteil: am 8.11.2022 hat die Landesregierung mit Beschluss Nr. 822 die Einleitung eines Verfahrens zur Ergänzung des Landschaftsleitbildes beschlossen. Dabei geht es in weiten Teilen um urbanistische Bestimmungen zur Schaffung von Ausnahmeregelungen für das Bauen im Grünen. Im Klartext: um neue Baukubatur auf Kosten der Landschaft. Hier einige Beispiele:

• Art. 2 zielt auf die Vermeidung von Bodenversiegelung ab, was landschaftsökologisch geboten ist. Diese Vermeidung regelt aber nur die Bodenversiegelung bei Wegen (z.B. Unterlassung von Asphaltierung), nicht allgemein im landwirtschaftlichen Grün und im alpinen Grünland.
• Art. 3 erlaubt den Wiederaufbau und die Verlegung von Gebäuden. Oft ist ein Wiederaufbau verfallener Gebäude weder notwendig noch sinnvoll. Viele Gebäude werden dann nur mehr für Freizeitzwecke wieder errichtet.
• Art. 4 ist besonders trickreich, weil neue unterirdische Baumasse zugelassen werden soll. Heute beobachtet man bei Hofstellen immer mehr lange unterirdische Betonriegel. Das dafür erlaubte unterirdische Bauvolumen soll weiter ausgedehnt und sogar im Weidegebiet und alpinen Grünland zugelassen werden.
• Art. 5 erlaubt die Anwendung des Energiebonus für alle Wohngebäude im Landwirtschaftsgebiet, obwohl die Bauernhöfe ohnehin schon 1.500 m3 dazu bauen dürfen.
• Art. 8 betrifft die neuen Möglichkeiten zur Erweiterung der gastgewerblichen Betriebe. Die darin vorgesehenen Kubatur-Erweiterungen um bis zu 30% des heutigen Bestands hätten katastrophale Auswirkungen auf die Landschaft. Mit bloßem Durchführungsplan könnten die Gemeinden die Bestimmung der maximal, zulässigen Erweiterung eines Gastbetriebs übergehen, genannt „qualitative Erweiterung“. Ehrlicherweise ist in der Landesregierungsvorlage dieser Begriff gestrichen worden.
• In Art. 10 wird gastgewerbliche Tätigkeit auf Almen zugelassen. Durch die Hintertür könnten damit Beherbergungsbetriebe geschaffen werden.

Die Handschrift zweier Lobbys bei diesen Texten ist unverkennbar. Weder der HGV noch der SBB scheinen die Vorgaben des Klimaplans wirklich ernst nehmen und ihre Ansprüche etwas zurückschrauben zu wollen. Sie scheinen ganz unbekümmert an ihrer knallharten Agenda zu arbeiten und den Klimaplan (Teil 1 und 2) als schmückendes Beiwerk zu betrachten.

Eine letzte Schranke für die Abänderung des Landschaftsleitbildes von 2002 im Sinn des Gesetzes „Raum und Landschaft“ wäre die strategische UVP, die jetzt von LR Kuenzer ins Feld geführt wird. Damit könnte die Expansion der unterirdischen Kubatur, Abriss und Wiederaufbaumöglichkeiten und die „qualitative Erweiterung“ im Gastgewerbe doch noch landschaftsschonender geregelt werden. Eine UVP braucht 6 Monate, bietet somit eine Nachdenkpause bis zu den Wahlen. Angepeilt wird dann eine Deckelung der qualitativen Erweiterung auf 30% des Bestands, aber maximal für die Betriebe mit 12.000 m3, so LR Kuenzer (Dolomiten, 20.4.23).

Nun beruft sich der HGV darauf, dass das brachiale Erweiterungsrecht um 30% im landwirtschaftlichen Grün allen Betrieben zugesagt worden war. „Die Politik kann nicht wortbrüchig werden,“ entrüstet sich HGV-Pinzger, „ es ist klar, dass es auch für größere Betriebe eine Erweiterungsmöglichkeit geben muss“ (Dolomiten, 20.4.23). Bei größeren Betrieben könne man die Erweiterung ja an Nachhaltigkeitskriterien koppeln. Oder vielleicht nur an Nachhaltigkeitslabels, die vom IDM jederzeit bereitwillig ausgestellt werden? Die Landesregierung steht wieder einmal vor der Nagelprobe: ist das Ziel des Klimaplans (Teil 2) zur Erreichung der Netto-Neuversiegelung bis 2040 das Papier wert, auf dem es steht, oder gilt am Ende doch immer wieder nur das Diktat von HGV und SBB?

Thomas Benedikter
25.4.2023

Echte Klimazertifikate oder „Nachhaltigkeit light“?

Nachhaltigkeit im Tourismus

Gröden ist aus der Sicht der dortigen Touristiker und des IDM eine zertifiziert nachhaltige Destination. Wie steht es aber mit dem gesamten CO2-Fußabdruck dieser Tourismushochburg? Wie ist ein Label zu beurteilen, das ausgerechnet Gröden als „nachhaltig“ markiert?


Während derzeit einzelne „Destinationen“ in Südtirol das Nachhaltigkeitslabel Südtirol (3 Levels) zuerkannt bekommen, liegt immer noch kein klares Bild vor, wie stark der Tourismus als solcher das Klima belastet. Der Klimareport 2018 der EURAC schätzt seinen Anteil an den Gesamtemissionen Südtirols auf 10%. Weil im Tourismus auch viel graue Energie und Emissionen anfallen (Bautätigkeit, An- und Rückreise, Energieverbrauch, Import von Vorleistungen usw.), ist der Gesamtanteil sicher höher. Was sich berechnen lässt, sind die CO2-Emissionen pro Gast. Wie aus einem Beschlussantrag der GRÜNEN im Landtag (Klimakur für Südtirols Tourismus, 19.4.2022) hervorgeht, liegen diese bei einem typischen 4-Sterne-Hotel bei 140 kg CO2 pro Gast und Nacht. Ein Durchschnittssüdtiroler emittiert im Schnitt 20 kg CO2 am Tag. Die 2022 registrierte Gesamtnächtigungszahl von 34,4 Millionen entspricht rechnerisch einer Dauer-Bevölkerungsgruppe von 94.246 Personen, d.h. in Südtirol leben eigentlich 624.000 Menschen und produzieren entsprechend mehr CO2. Ganz einfach: Je mehr emissionsintensive Gäste sich hier aufhalten, desto höher unsere Gesamtemission, desto entfernter die Klimaneutralität. Das trifft auch andersrum zu: was wir als Touristen anderswo emittieren, wird jener Destination zugerechnet.

Allerdings geht es im Tourismus auch sparsamer. Laut GRÜNEN-Beschlussantrag hat ein aufgeschlossener Hotelier mit radikalen Einsparungen und eigener Energieproduktion die Emissionen pro Gast von rund 140 kg/Kopf auf 10,8 kg/Kopf gedrückt. Dies zeigt zum einen die Messbarkeit des CO2-Fußabdrucks des Tourismus, zum anderen auch das erhebliche Potenzial an Einsparungen von Treibhausgasemissionen in der Hotellerie. Daraus ist zu folgern: der Tourismus darf nicht weiterwachsen und muss Emissionen vermeiden, wenn Südtirol klimaneutral werden soll. Doch wird das Nachhaltigkeitslabel Südtirol IDM diesem Anspruch und Umstand gerecht?

Bekanntlich hat das IDM sein eigenes „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ entwickelt, das „besonders nachhaltigen“ Destinationen zuerkannt wird. Diese müssen die geforderten Standards nicht sofort nachweisen, sondern als eine Art Zielmarke anstreben. In der Kommunikation nach außen darf das Label ab sofort eingesetzt werden. Das Nachhaltigkeitslabel Südtirol basiert laut IDM auf den Standards des Globalen Rats für Nachhaltigen Tourismus (GSTC), einer höchst seriösen internationalen Vereinigung. Auditiert wird dieses Label dann von einzelnen Organisationen und verwaltet vom IDM. Im weltweiten Labeldschungel sind internationale „benchmarks“ beim Qualitätsstandard von Destinationen und Betrieben durchaus gefragt. Daneben braucht es freilich eine übergeordnete Instanz, die die Standards prüft und Verfahren überwacht. Wenn die Gäste ihre Ziele nach Nachhaltigkeitskriterien wählen und die Gastgeber in Sachen Nachhaltigkeit wetteifern, kann dies eine positive Dynamik für einen sozial und ökologisch verträglicheren Tourismus auslösen. Doch stellen sich im Fall IDM mindestens zwei Fragen. Zum ersten, inwiefern hat sich das IDM tatsächlich an die GSTC-Kriterien gehalten? Zum zweiten, wie kommt eine Marketing- und Standortagentur dazu, über die Nachhaltigkeit eines ganzen Gebiets zu urteilen, was die Bevölkerung naturgemäß ganz anders sieht?

Zu letzterer Frage: Das IDM als Agentur für die Standortbewerbung und Marketing handelt vor allem im Interesse der Tourismusunternehmen und der Tourismusbranche als solcher, nicht im Interesse der gesamten Bevölkerung. Sie verfügt nicht über die nötige Unabhängigkeit und wissenschaftliche Autorität. Eine derartige Rolle sollte am besten von einer öffentlichen Institution (z.B. der Landesumweltagentur) oder einer wissenschaftlichen Institution (EURAC, Universität Bozen) wahrgenommen werden.

Zur ersten Frage: verglichen mit dem Kriterien- und Indikatorenset des GSTC-D wirkt die IDM-Liste ausgedünnt und in der Aussagekraft aufgeweicht. Das IDM ist sehr selektiv vorgegangen, zahlreiche für die lokale Bevölkerung wichtige Indikatoren fehlen, ihre Einbeziehung außen vor gelassen. Zur Nachhaltigkeit gibt es in Südtirol inzwischen viele Daten, Fakten und Analysen von öffentlichen und wissenschaftlichen Institutionen. Wenn der Begriff „nachhaltig“ in der Touristeninformation Aussagekraft haben soll, muss er anhand von Daten und Fakten nachprüfbar und belegt sein, keine bloße Einschätzung einer Tourismusagentur. So kommt es auch, dass ein overtourism-geplagtes Tal mit einer garantiert nicht klimaschutzgerechten Wachstumsagenda wie Gröden für „nachhaltig“ erklärt werden kann. Eine echte Klimazertifizierung, wie von den GRÜNEN vor einem Jahr gefordert, muss anders vorgehen. Nicht nur Einzelbetriebe, sondern auch ganze Destinationen und ganz Südtirol müssen ihre Öko- und Klimabilanz offenlegen. Nur anhand einer vollständigen Klimabilanz kann man sowohl Gästen als auch der Bevölkerung einen ehrlichen Befund in Sachen Nachhaltigkeit liefern.

Thomas Benedikter
19.4.2023

EBBE BEIM WASSERSTAND, EBBE BEIM EIGENEN STROM?

2022 war das trockenste Jahr in Europa seit den Aufzeichnungen. Vor allem Italiens Landwirtschaft hat beeindruckende Einbußen erlitten, weit weniger der Tourismus. Doch wie hat sich Dürre auf die Stromproduktion aus Wasserkraft ausgewirkt?

Einst wichtige Rolle
Für die italienische Stromproduktion hatten die Wasserkraftwerke bis Mitte der 1960er Jahre eine enorme, ja dominante Rolle. In die Zeitspanne 1941-1963 fiel der Bau fast aller großer Wasserkraftwerke in Südtirol. Als das Kraftwerk in Kardaun bei Bozen 1931 in Betrieb ging, war es die größte Anlage dieser Art in Europa. Vor 1939 lieferten die Südtiroler Kraftwerke 12% des gesamten Stromverbrauchs Italiens (vgl. Christoph Gufler, Südtirol unter Strom. Der Ausbau der Wasserkraft in Südtirol, ATHESIA 2015).

Italien ist heute noch führend bei der Hydroelektrik und hat nach Norwegen und Frankreich die drittgrößte Gesamtleistung an Strom aus Wasserkraft zur Verfügung. Heute gibt es rund 4.500 Wasserkraftwerke in Italien, wovon sich allein drei Viertel auf den Alpenraum konzentrieren und davon gut 1.000 auf Südtirol. Mit 40% der insgesamt aus erneuerbarer Trägern erzeugten Energie ist die Wasserkraft immer noch die größte „grüne Energie“, doch im Unterschied zur Fotovoltaik und Windkraft kaum mehr ausbaufähig. Das gilt auch für Südtirol, das 2020 8.177 GWh Strom erzeugte, wovon 90% aus der Wasserkraft stammte.

Wasserkraft in Krise

2022 ist die Stromerzeugung aus der Wasserkraft in Italien im Vergleich zum Vorjahr um 37% gesunken. Im Durchschnitt der letzten Jahre – wie Andrea Barbabella von Italy for Climate ausführt – hat die Wasserkraft 45 Milliarden kWh Strom geliefert, und damit immerhin 15% der gesamten Stromerzeugung abgedeckt. 2022 sackte die Produktion auf 30 Mrd. kWh ab, die Wasserkraft stellt nur mehr 10% der Stromerzeugung. Ein trauriger Rekord für Italien: noch nie seit 100 Jahren lag der Anteil der Wasserkraft an der italienweiten Stromerzeugung so tief. Beindruckend auch die Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft: 2014 waren es 60 TW insgesamt (43% der gesamten Produktion aus erneuerbarer Energie), 2022 nur mehr 30 TW (35% des Stroms aus erneuerbarer Energie). Fotovoltaik und Wind sind 2022 auf 48 TW gestiegen, immer noch zu wenig, um die Krise bei der Wasserkraft wettzumachen.

Schon in den 1950er Jahren hatte Italien 30 Mrd. kWh Strom erzeugt. 2022 ist man auf dieses Niveau zurückgefallen, obwohl sich die installierte Produktionskapazität auf das Dreifache belief. Das zeugt einen weiteren Negativrekord des Dürrejahrs 2022 auf: Die Wasserkraftwerke haben im Schnitt nur noch 1.300 Stunden operativ gearbeitet, während in den 1950er Jahren die Turbinen jährlich 4000 Stunden in Betrieb waren. Die Effizienz der Werke lässt zu wünschen übrig, viele sind über 60 Jahre alt, viele müssten modernisiert werden. Was aber 2022 noch stärker ins Gewicht fiel, ist einfach der Wassermangel, vor allem fürs Trinkwasser und die Landwirtschaft.

Das Potenzial der Wasserkraft in Italien ist weitgehend ausgeschöpft. Höchstens kleine Kraftwerke können noch gebaut werden. Doch viele größere Anlagen müssten mit hohem Kapitaleinsatz modernisiert und potenziert werden, wie beim Werk St. Anton der Eisackwerke vorbildlich geschehen. Die Wasserkraft ist im Unterschied zu Wind und Sonne ein planbarer Energieträger. Energie kann in Form von gefüllten Speicherbecken gespeichert werden, sofern sie denn halbwegs gefüllt werden. So kann Strom aus der Wasserkraft die Spitzen des Stromverbrauchs abdecken (vgl. Peter Erlacher, Südtirol auf dem Weg zur Klimaneutralität, in: Klimaland Südtirol? POLITiS-GWÖ 2022, 57-73).

2023 ein kritisches Jahr
Für die Wasserversorgung im Allgemeinen und die Stromproduktion im Besonderen wird 2023 ein noch schwierigeres Jahr. Im Jänner 2023 lag die Produktion in Italien um 10% unter jener des Jänners 2022. Die hydrologischen Angaben zu Niederschlägen weisen im ganzen Alpenraum nach unten. Der trockene Winter und die geringen Schneemengen lassen bei den Stromproduzenten Sorgenfalten aufkommen. Weniger Strom aus Wasserkraft heißt für Südtirol auch mehr Strom aus dem nationalen Strommix, der zu 65% aus fossilen Energieträgern stammt.

Wie Michael Matiu (EURAC und Universität Trient) in der Studie Snow herausgefunden hat, ist die Schneemenge in Bozen von 1980-2020 um -75% zurückgegangen, in Schlanders um -34% und in St. Ulrich um -37%. Die Etsch führt in Sigmundskron um -37% weniger Wasser als normal. Das hat schwerwiegende Folgen für den Grundwasserspiegel, die Verfügbarkeit von Wasser und alle Aktivitäten, die auf Wasser angewiesen sind einschließlich der Stromerzeugung. Der durchschnittliche Temperaturanstieg an 18 repräsentativen Orten des Trentino und Südtirols beträgt +1,54° bis heute. Die Niederschläge haben zwar überall zugenommen, aber viel mehr in Form von Regen, der schnell abfließt. Bei einem maximalen Fassungsvermögen von 214 Mio. Kubikmeter Wasser sind die großen Stauseen derzeit gerade zu einem Viertel gefüllt.

Was bedeutet das für Südtirols Klimastrategie?
Der Klimaplan Südtirol 2040 setzt auf die massive Ausweitung der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen. Bei der Wasserkraft will man die Effizienzreserven bei bestehenden Anlagen nutzen (S.40), die Netze ausbauen, die Speicher- und Nutzungskapazitäten genau erheben (bis 2025). Ein Ausbau der Wasserkraft, wie von der Handelskammer in einer Studie vorgeschlagen, ist nicht vorgesehen und würde bei solch trockenen Wintern keinen Sinn mehr machen (S.41-42). Umso mehr ist die Fotovoltaik gefragt. Eigentlich muss Südtirol seine Energiewende hin zu den Erneuerbaren bis zur Klimaneutralität 2040 genau durchrechnen, wie das bereits im Bundesland Tirol geschehen ist.
Thomas Benedikter
3.4.2023


TECHNISIERTER MASSEN-SKISPORT ADE?

Der auf Pistenskianlagen aufgebaute Massentourismus in den Alpen geht seinem Ende entgegen, wobei der technisch erzeugte Schnee die Agonie nur um einige Jahre hinauszögert.

Dünne Streifen Kunstschnee hängen wie Krawatten die braunen Hänge herunter. Während die Wiesen zu grünen beginnen, schießen die Schneekanonen aus vollen Rohren. Derzeit rettet der technische Schnee noch die meisten Schigebiete in Südtirol und damit die Umsätze. Doch wie lange noch?

Vom Klimawandel ist die Alpenregion stärker betroffen als der Norden der Erde insgesamt. Der letzte schneearme Winter ist kein bloßer „Ausreißer“ mehr. Laut der Union für erdwissenschaftliche Studien EGU wird der Schnee in den Alpen bis zum Ende des Jahrhunderts um 30 bis 70% zurückgehen. Bis dahin sind beim jetzigen Tempo der Erderwärmung auch sämtliche Alpengletscher verschwunden. Es kann in den Alpen im Winter zwar mehr Niederschlag geben, aber unter 2000 Meter nur mehr als Regen. Nicht zufällig betiteln die Trentiner Autoren Michele Nardelli und Maurizio Dematteis ihr gestern in Bozen vorgestelltes Buch „Inverno liquido“. Wenn es nicht mindestens 100 Tage eine dickere Schneeschicht gibt, hat der traditionelle Wintersport mit seinen ausgeuferten Infrastrukturen keine Zukunft. Und das ist in weiten Teilen der Alpensüdseite heute schon der Fall.

Mit diesen düsteren Aussichten für den Alpentourismus im Winter, wie wir ihn bisher kannten, haben sich eine Reihe von Studien tiefer auseinandergesetzt, wie etwa EURAC-Forscher Michael Matiu in „Snow“. Die Banca d’Italia hat im Report „Climate Change and Winter Tourism: Evidence from Italy” die Wetterbedingungen und Touristenströme in 39 alpinen Schigebieten analysiert. Unter anderem kommen die Autoren zum Schluss, dass der technische Schnee die Betriebsdefizite zwar noch einige Zeit abfedern kann, aber nicht auf Dauer, weil immer weniger Wasser, milde Winter und steigende Stromkosten das Ganze unrentabel werden lassen.
In seinem Buch „Winter Tourism: the Climate Challenge“ fordert Prof. Christophe Clivaz von der Universität Lausanne ein Ende weiterer Investitionen in die Aufstiegsanlagen: „Wir sollten die öffentlichen Subventionen auf bestimmte Skigebiete konzentrieren,“ sagte er auf swiss.info, „und andere Skigebiete unterstützen, Alternativen zum Schifahren zu finden…Die Skigebiete sind tatsächlich schon Vergnügungsparks. Die Landschaft ist oft beschädigt und mit hässlichen Bauten entstellt. Gerade in diesen Gebieten können Spaßaktivitäten für Touristen angeboten werden: Erlebnisparks im Wald, Scooter mit breiten Reifen, MTB-Pisten, Klettersteige usw.“

Sehr aufschlussreich das 2022 erschienen Dossier von Legambiente „Nevediversa 2022“, das die Perspektiven des Wintersports in ganz Italien analysiert. Das Dossier listet nicht nur die aufgelassenen Aufstiegsanlagen auf, sondern auch jene, die vor der Schließung stehen oder nur dank öffentlicher Förderung überleben. 2021 sind 234 Aufstiegsanlagen stillgelegt worden, 54 mehr als 2020. 135 Strukturen sind aufgrund von Schneemangel vorläufig geschlossen. Andererseits sind mindestens 150 Neuanlagen oder Erweiterungen bestehender Schigebiete geplant, davon einige sogar in Natura-2000-Schutzgebieten und einige auch in Südtirol wie die Schischaukel Sexten-Sillian und die Klein-Gitsch.
Noch fließt also viel Geld in die Wintersportinfrastruktur, doch steigt das Risiko „gestrandeter Investitionen“. Wenn sich die öffentliche Hand daran beteiligt, wird mittelfristig Steuergeld statt in den Klimaschutz in klimaschädliche Beton, Stahl und Bauarbeiten gesteckt sowie in den Betrieb energieintensiver Anlagen am Berg. Schneemangel, Wasserknappheit, steigende Stromkosten müssten die politisch Verantwortlichen von diesem Weg abbringen.

Alternativen zum Massen-Pistenskisport in den Alpen gibt es zuhauf. Im Report „Nevediversa 2022 “ bringt Legambiente 10 Beispiele guter Praxis in allen Bergregionen Italiens, die Schule machen könnten. Es geht um umweltfreundliche und klimaschonende Alternativen. Wenn die Touristenströme in den Alpen besser über das ganze Jahr verteilt werden, könnten viele Gebiete entlastet werden. Dann käme eine Strategie zum Zug, die unzähligen Ruinen des Massenskisports in den Bergen nach und nach abzutragen und die Schäden zu sanieren. Die Natur und Artenvielfalt könnte langsam wieder aufleben.

Thomas Benedikter

28.3.2023

e-VISION SÜDTIROL

Leiser, emissionsärmer wird sie sein, die e-Welt von morgen, mit weniger Autos und Motorrädern. Doch gilt das auch für eine Tourismusdestination?

Die Piefke-Saga, jetzt schon 32 Jahre alt, ist längst schon Realität, Schnee von gestern sozusagen. Bei dieser Art Winter könnte auch der Schnee gestern gewesen sein. In Südtirol wie in Nordtirol sind wir im overtourism angekommen: 11,2 Mio. PKW passierten die Mautstelle Schönsberg im Jahr 2022. 34,3 Mio. Nächtigungen registrierte das IDM in Südtirol. Heute, im spätfossilen Zeitalter, rollt die Masse der Gäste noch mit Benziner und Diesel an. Aber Silberstreif am Horizont: 2035 werden keine Verbrenner mehr zugelassen, so Salvini es gestattet, und bis 2040 sind wir klimaneutral, so Kompatscher sich durchdersetzt. Somit: schöne, neue emissionsfreie e-Welt von morgen?


Nicht ganz, denn etwas Rebound-Effekt trübt die Stimmung. Diese Art von Bumerang ergibt sich daraus, dass ein Gut, z.B. ein Auto oder Motorrad, effizienter und dadurch kostengünstiger wird. Bei der Mobilität tritt dieser Effekt ganz direkt auf: was billiger ist, wird stärker nachgefragt und genutzt. Mein strombetriebenes Auto fährt um den halben Preis, also fahre ich noch mehr herum. Auch den indirekten Rebound haben wir dabei: ich spare beim Auto, dann habe ich noch Geld für ein Zusatzmotorrad auf dem Anhänger, wie immer häufiger auf Südtirols Straßen zu sehen. Hinzu kommt der psychologische Rebound-Effekt beim Fahren, auch moralische Lizenzierung genannt. Wer mit erneuerbarer Energie durch die Dolomiten kurvt, fühlt sich besser, weil das Klima nicht mehr leidet. Schließlich das Backfire: die Einspareffekte durch die E-Mobilität werden durch mehr gefahrene Kilometer überkompensiert und der Individualverkehr steigt sogar an. Auch die Bahnanreise ändert wenig, denn wer in Bozen oder Meran aus der Bahn steigt, leiht sich nebenan das strombetriebene Fahrzeug. Weniger CO2-Emissionen mag sein, aber weniger Metall- und Blechschachteln auf der Straße noch lange nicht.

Viele Erwartungen setzt man auf die Bahn, vor allem auf den BBT, der 2032 in Betrieb gehen wird. Einen zahlenmäßigen Vorgeschmack darauf lieferte am 10. März 2023 einer, der es wissen muss: der Chefplaner des neuen Landesplans für nachhaltige Mobilität, Ing. Stefano Ciurnelli. Er ging vom deklarierten Ziel der Landesregierung aus, bis 2035 den Anteil der Touristenankünfte (laut IDM 2022 7,9 Mio) mit der Bahn auf 25% zu steigern. Pro Woche müssten dann von mindestens 153.000 ankommenden Gästen im Schnitt 38.000 durch die Bahnhöfe Brixen, Bozen, Meran geschleust werden. Zusammen mit den einheimischen Fahrgästen ergäbe das einen Tagesdurchschnitt von 40.00 Fahrgästen am Bahnhof Bozen. Das sei immerhin, so Ciurnelli, die Hälfte der Fahrgäste, die der neue Bahnknoten Bologna heute täglich zu bewältigen hat. Der Rebound-Effekt ist hier noch nicht inbegriffen. Es wird eng am Hub Bozen.

So nimmt die e-Vision auf unser Tourismusland für die Zeit nach 2032 und nach 2035 (Verbot der Neuzulassung von Verbrennermotoren in der EU) langsam Gestalt an: volle Bahnen und Busse, zumal die Touristen dank Gästecard überall kostenlos fahren, Gedrängel auf den Bahnhöfen, volle Seilbahnen. Dank Rebound-Effekt aber auch immer noch gleich viel motorisierter Individualverkehr. Welcher passionierte Automobilist will sein neues teures E-Auto in der Garage lassen, wenn die Alpenpässe warten? Die Motorradplage wird noch steigen, weil leisere und sparsame e-Maschinen „moralisch lizenzieren“, ganz zu schweigen von den Horden von E-Mountainbikern rauf bis zur letzten Schutzhütte.
So wird Südtirol doch zur Tirol-City-Landschaft, zum alpinen Freizeitpark der Großstädter, wie es 2005 die Gruppe YEAN genial dargestellt hatte. Der HGV wird zwar immer noch Luft nach oben sehen, der Handelskammerpräsident die Erreichbarkeit des Landes bemängeln. Nur die IDM-Texter werden die e-Vision in neue poetische Werbetexte kleiden, damit der Strom nicht versiegt. Vielleicht frei nach Konstantin Wecker: „Genug kann nie genügen“.

Thomas Benedikter
21.3.2023

DER DIGITALE FUSSABDRUCK WÄCHST

Klimaschutz und Digitalisierung

Jede Suchanfrage, jeder von Netflix heruntergeladene Film, jede Nutzung von Cloud-Computing führt zu höherem Strombedarf und bei noch viel zu geringem Anteil erneuerbarer Energie bei der Stromerzeugung zu mehr klimaschädlichen CO2-Emissionen.

Natürlich ist ein Leben ohne Elektronik und digitale Dienstleistungen heute nicht mehr vorstellbar. Sowohl beim privaten Konsum wie bei öffentlichen Dienstleistungen, in der Forschung wie in der industriellen Produktion ist die Digitalisierung Teil des Alltags. Auch für den Umwelt- und Klimaschutz bietet sie viele neue Chancen, wie z.B. durch Reduzierung der Mobilität.

Die Kehrseite der Digitalisierung ist der permanent steigende Energie- und Materialverbrauch. Die gesamte Übertragungstechnologie, die Infrastruktur von Servern und Rechenzentren, die Hardware der Endgeräte verbrauchen Rohstoffe, Strom und am Ende riesige Elektroschrottmengen: 2018 sind weltweit 50 Mio t Elektroschrott angefallen. Der ökologische Fußabdruck der Digitalisierung wächst. Die Studie „Klimaschutz durch digitale Technologien“ kommt zum Ergebnis, dass die durch die Digitalwirtschaft verursachten CO2-Emissionen zwischen 1,8 und 3,2% der globalen Treibhausgasemissionen liegen (Stand 2020).

2022 nutzten an die 5,3 Milliarden Menschen, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, das Internet. Allein in Deutschland entstehen durch den Betrieb des Internets gleich viele CO2-Emissionen wie durch den innerdeutschen Flugverkehr. Die Nutzung digitaler Technologien und die dafür benötigte Infrastruktur verursacht etwa 4% der globalen CO2-Emissionen, also mehr als der globale Flugverkehr. Je nach Erhebung frisst das Internet 8-10% der globalen Stromproduktion. Unter den Ländern mit dem höchsten Stromverbrauch würde das Internet Platz 3 belegen. Nicht zu vergessen: auch die Herstellung der digitalen Endgeräte schafft erhebliche CO2-Emissionen.

Die digitale Währung Bitcoin ist besonders emissionsintensiv: das Bitcoin-Mining soll einen jährlichen Stromverbrauch aufweisen wie der Jahresverbrauch von ganz Argentinien. Eine einzige Bitcoin-Transaktion verbraucht 819 kWh Strom, womit man einen Kühlschrank ein ganzes Jahr lang betreiben kann. Das gesamte Bitcoin-System verursacht 22 Megatonnen CO2. Den nächsten gewaltigen Schub an Internetnutzung, Serverkapazitätsausbau und Stromverbrauch wird das ChatGPT bringen.

Einer der größten Stromfresser ist das Musik- und Videostreaming. Laut Berechnungen des The Shift Project haben online-Videos mit ihren riesigen Datenmengen einen Anteil am weltweiten Datentransfer von 60%. Entsprechend hoch die CO2-Emissionen durch den damit verbundenen Stromverbrauch.

Auch andere „smarte Technologien“ führen zu immer mehr Stromverbrauch. Der fällt vor allem in den Rechenzentren an, den Knotenpunkten der digitalen Welt. Um die Datenströme zu verarbeiten, braucht es immer mehr Server mit höherer Leistung. Damit diese nicht überhitzen, müssen sie ständig gekühlt werden, mit Strom. Allein das Kühlen macht 25% des gesamten Stromverbrauchs eines Rechenzentrums aus. Die Abwärme verpufft meistens ungenutzt.

Forschungsprojekte laufen, um nicht nur den Strom und Ressourcenverbrauch der Rechenzentren zu senken, sondern auch die Abwärme zu nutzen, z.B. für Heizzwecke, für Nah- und Fernwärme. Daneben ist die Versorgung mit Strom aus erneuerbarer Energie der Schlüssel für klimafreundlichere Digitalwirtschaft. Heute schon bestehen Rechenzentren, deren Strom sich ausschließlich aus grünem Strom speist.

Andererseits tragen digitale Technologie maßgeblich dazu bei, dass Klimaneutralität und Energiewende umgesetzt wird. Die BITKOM-Studie zum „Klimaschutz durch Digitalisierung“ hat ermittelt, dass in Deutschland durch den gezielten Einsatz der Digitalisierung bis 2030 129 Megatonnen CO2 eingespart werden könne, was der Hälfte der einzusparenden Gesamtemissionen von CO2 entspricht. Die beschleunigte Digitalisierung würde sich nicht nur für den Umwelt- und Klimaschutz auszahlen, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken.

Thomas Benedikter
14.3.2023

DO GEAT SCHUN NO A BISSL

Drei typische Haltungen, die echten Klimaschutz ausbremsen.

In der Psychologie spricht man von drei Arten von Fallen, die Menschen zu so selbstzerstörerischen Handlungsweisen führen, wie wir sie im Moment rund um den Globus wahrnehmen, z.B. in Brasilien, wo jährlich riesige Flächen Regenwald abgebrannt werden, oder in Australien, wo die Kohleförderung vorangetrieben wird, wie der Psychologe Christian Stöcker in „Das Experiment sind wir“ (Bundeszentrale für polit. Bildung 2021, 314) ausführt:

• „Soziale Fallen“: die anderen fischen mit Dynamit – das macht zwar die Korallenriffe kaputt und damit bald auch die Fischbestände, von denen wir alle abhängen. Aber bis dahin fangen meine Konkurrenten viel mehr Fische. Warum sollte ich dann nicht auch mit Dynamit fischen, solange es noch geht?
• „Zeitliche Fallen“: es mag ja sein, dass mein Verhalten irgendwann in der Zukunft negative Konsequenzen haben wird, aber im Moment bringt es mir Vorteile – billige Energie zum Beispiel oder bequemer Transport. Der Schaden scheint in ferner Zukunft zu liegen, also ignorieren wir ihn.
• „Räumliche Fallen“: es mag ja sein, dass es für die Einwohner von Kiribati und Mikronesien irgendwann ungemütlich wird, wenn das Wasser weiter steigt, aber was geht das mich an? Mein Haus steht in den Alpen, weit weg vom Meer.

Alle drei Haltungen sind fatal für echten Klimaschutz und für eine gemeinschaftliche Übernahme von Verantwortung. Weniger Rinderhaltung und Futtermittelimport? Wozu, wenn im Flachland noch Massentierhaltung in ganz größerem Stil betrieben wird. Weniger touristische Überbelastung des Landes? Wozu, wenn die Gäste dann die Nachbarregion ansteuern. Weniger Stromverbrauch? Warum, kommt doch alles aus unseren Wasserkraftwerken (was nicht stimmt).

In Südtirol haben diese drei Formen der Umgehung von Klimaschutz eine besondere Ausprägung erfahren, die man kurz so verschlagworten kann:
1. „Do geat schun no a bissl” (zeitliche Falle).
Beispiel: alle Gemeinden müssen in den kommenden zwei Jahren einen Klimaplan haben, der auf den Klimaplan des Landes abgestimmt ist. Die Gemeindeentwicklungsprogramme sollen die Kommunen für die nächsten 15 Jahren u.a. auf dem Weg zur Klimaneutralität fit machen. Aber gerade die Gemeinden beharren darauf, dem Gastgewerbe weitere Ausbaurechte zu verschaffen. Die überbaute Betriebsfläche soll bis zu 40% erweitert werden können (300 m2 sogar kompensationslos, also ohne Entsiegelung anderer Flächen). Mehr Kubatur, mehr Betten, mehr touristische Anreisen, mehr Emissionen. Für die Gemeinden scheint das mit Klimaneutralität bestens zusammen zu passen.

2. „Auf inser kloans Landl kimps do net un“ (räumliche Falle).
Beispiel: der Landesplan für nachhaltige Mobilität sieht bis 2035 die Reduzierung der Emissionen aus dem Verkehr um 50% vor. Er geht von einem Minus beim motorisierten Individualverkehr von -26% aus. Der Klimaplan will aber -40% bis 2040. Konkrete Maßnahmen, wie die Zahl der PKW und die gefahrenen Kilometer gesenkt werden, fehlen in diesem Plan. Gemäß Mobilitätsplan nimmt der Güterverkehr bis 2030 weiter zu, und erst bis 2040 um 10% ab. Jetzt wird bis Bozen Süd die dritte „dynamische“ Spur eingerichtet und damit die Kapazität der Autobahn sogar erhöht. Anscheinend nimmt man an: auf Südtirol wird es wohl nicht ankommen.

3. „Solang nit olle ondern sporn, brauch mir a net sporn“ (soziale Falle).
Beispiel: im Sommer 2022 hat man mit 5,1 Millionen Ankünften und 22,7 Mio Nächtigungen den Vorkrisen-Sommer 2019 übertroffen und sogar das Bundesland Tirol überholt (22,5 Mio Nächtigungen). 10 Millionen An- und Abreisen in einem Halbjahr. Dennoch werden weiterhin Millionen Euro in die Tourismuswerbung gepumpt. Das steuerfinanzierte IDM scherzt in dieser Hinsicht nicht: 2020 hat es mindestens 67,1 Mio Euro und 2021 47,8 Mio. Euro verausgabt. Damit werden hochprofessionell alle Werbekanäle geflutet, um den Tourismus auf Wachstum zu halten. Effizient, aber unvereinbar mit den Klimazielen.

Anders als noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wissen wir heute eine Menge mehr über unsere individuellen und kollektiven Beschränkungen und Denkfehler. Vor allem die Sozialpsychologie und die Verhaltensökonomie haben bemerkenswerte Erkenntnisfortschritte erzielt. Wir kennen auch diese Fallen im Denken, was gemeinschaftliche Verantwortung gerade beim Klimaschutz immer wieder ausbremst. Eines ist die Trägheit der alltäglichen Gewohnheiten und verbreiteten Meinungen, etwas anderes sind aber die handfesten Widersprüche im Verhalten der politischen Verantwortungsträger.

Thomas Benedikter
28.2.2023


„NACHHALTIG“ PASST ÜBERALL

Nachhaltigkeit als wohlfeiler Gummibegriff

Nachhaltigkeit: eigentlich hatte der Begriff einmal eine Bedeutung. Ganz verknappt gesagt diese: schlag nur so viel Holz im Wald, wie auf Dauer wieder nachwächst. Die Maxime wurde auf alle Lebensgrundlagen ausgeweitet: nutze nur so viel an Ressourcen, wie die beteiligten Systeme dauerhaft aushalten können ohne Schaden zu nehmen und produziere nur so viel Schadstoffe und Abfall, wie die Umwelt und Atmosphäre absorbieren können.

Dann kam der dreidimensionale Nachhaltigkeitsbegriff ins Spiel, der ökologische, soziale und ökonomischen Ziele bündelt. Auch die 17 SDG der UN bauen auf diesem Konzept auf. Im Kern bleibt die Idee immer dieselbe: Ressourcen dürfen bei Nachhaltigkeit nur in dem Maß verbraucht werden, dass weder Mensch noch Natur auf Dauer Schaden erleiden. Wo ist das im Tourismus so?

„Nachhaltigkeit“ zirkuliert in der Produkt-, Tourismus- und Standortbewerbung inflationär, auch in Südtirol. Der Begriff ist inzwischen so verbreitet wie inhaltsleer. In allen denkbaren Facetten werden ganz traditionelle Produkte und Destinationen als nachhaltig angepriesen, die nichts mit dem Kerngedanken zu tun haben. Es gibt inzwischen mehr als 200 Nachhaltigkeitssiegel. Zwischen Greenwashing und seriösen Zertifizierungen ist da schwierig zu unterscheiden. Wenn zum Beispiel Airlines und Reiseveranstalter Klimaneutralitätszertifikate ohne den Nachweis einer echten Treibhausgasbilanz bringen, wenn Hotels einige Dienstleistungen grün einfärben, wenn Unterkünfte schon beim Verzicht auf Plastikstrohhalme und Handtuchwechsel als 'Nachhaltigere Unterkunft' ausgewiesen werden, ist Skepsis angesagt. TourismWatch hat zu diesem Zweck einen eigenen „Wegweiser durch den Labeldschungel“ herausgebracht.

Greenwashing kreist meistens um den Kernslogan „Nachhaltigkeit“, was zahlreiche Studien bestätigen. 2022 hat die EU-Kommission in einer Studie geprüft, ob Unternehmen, die sich als „nachhaltig“ präsentieren, tatsächlich umwelt- und klimaschonend produzieren. In 42% der Fälle waren die Behauptungen zur Nachhaltigkeit „übertrieben, falsch oder irreführend“. Die Studie hat auch zahlreiche Betriebe aus der Tourismusbranche unter die Lupe genommen.

Warum hat das Greenwashing keine Folgen, aber auf dem Markt Erfolg? Vor allem, weil „Nachhaltigkeit“ in der Werbe- und Kommunikationspraxis zu einem fast unendlich dehnbaren Begriff geworden ist. Weil eine allgemeine Definition oder ein rechtlich verbindlicher Kriterienkatalog fehlt, kann praktisch alles als nachhaltig oder auch nicht bezeichnet werden. Oft werden schon „Bestrebungen in Richtung Nachhaltigkeit“ anerkannt, ohne zu wissen, wohin sie denn geführt haben. So verkommt Nachhaltigkeit immer mehr zu einer Floskel in einer PR-Strategie. Es gibt die Zertifizierungen, doch wer vergibt sie? Wer kontrolliert die Zertifikate? Warum werden die Zertifizierungskriterien von IDM und HGV, also von den direkt Interessierten, ausgearbeitet? Geht es am Ende doch wieder nur, um die „Nachhaltigkeitskommunikation“ (IDM), die einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen und einen höheren Preis rechtfertigen soll?

Die IDM hat ausgehend von den Kriterien des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) ein eigenes „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ kreiert, um besonders nachhaltige Destinationen (Betriebe) zu zertifizieren. Der Anspruch wird klar benannt: die nachhaltige Entwicklung des Tourismus soll nicht nur spürbar, sondern auch messbar werden. Anhand von 9 Kriterien können Unterkunftsbetriebe ihre Nachhaltigkeit unter Beweis stellen. 30 Indikatoren mit 80 Einzelvariablen sollen soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit nachweisen. Mehr Resilienz, mehr Lebensqualität, weniger CO2, verspricht die IDM. Es wirkt seriös und fundiert, doch verleiht die IDM selbst dieses international anerkannte Label, keine Landesumweltagentur oder unabhängige Umweltschutzorganisation. Wird diese Label-Vergabe auch von unabhängiger Seite auditiert?

Sinnvoller wäre eine umfassende und transparente Ökobilanz eines Tourismusbetriebs, zertifiziert durch öffentliche oder unabhängige Umweltinstitute. Als Bewohner einer von Übertourismus geplagten „Tourismusdestination“ und auch als Gast wird man weiterhin genau hinzuschauen haben, ob wirklich die Kriterien des „Global Sustainable Tourism Council“ im Zentrum stehen, oder doch nur das nachhaltige Wachstum der Nächtigungszahlen und Umsätze.

Wenn der Nachhaltigkeitsbegriff so inflationär wie heute verwendet wird, entsteht zudem der Eindruck, dass ein Leben in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und dem Klimaschutz leicht zu haben ist. Dass man an alle Orte der Welt reisen kann und sich doch „nachhaltig“ fühlen kann, wenn nur das Label des Hotels das verspricht. Zwar ist der Gast zufrieden, aber umfassende Lösungen für den Tourismus in einem ganzen Gebiet sind damit noch lange nicht geschaffen. Wenn ganze Tourismusgebiete wie Enneberg und Hochabtei als „nachhaltig“ zertifiziert werden, stellt sich die Frage, wie der Energieverbrauch, Stoffdurchsatz und Emissionen des Tourismus überhaupt erfasst werden. Auch die Unmenge an grauer Energie, die z.B. in der Bautätigkeit steckt? Die Emissionen der Wellnessanlagen oder die CO2-Emissionen des überbordenden Verkehrs zur Hochsaison?

Wenn es um Klimaschutz und Treibhausgasreduzierung geht, um die Einhaltung von Arbeitnehmer- und Menschenrechten, um die Bekämpfung von Armut und den Erhalt der Artenvielfalt, sind messbare Kriterien und wissenschaftlich fundierte Erhebungen unverzichtbar. Für ein Tourismusland wie Südtirol sind mehr umfassende und objektive Nachhaltigkeitsprüfungen geboten, also eine echte Klimabilanz des Tourismus, weniger werbewirksame Nachhaltigkeitsrhetorik. Was bringt es schließlich, wenn die IDM einerseits Nachhaltigkeitszertifikate verleiht, andererseits mit ihrem Millionenbudget das stetige Wachstum der Branche und die von ihr verursachten Gesamtemissionen befeuert?

Thomas Benedikter
7.3.2023

OLYMPIA: SCHNEE VON GESTERN?

Der Mythos „nachhaltiger“ Olympischer Spiele 2026

Wie die allermeisten Olympischen Spiele wird auch die Ausgabe Mailand-Cortina 2026 kostspieliger und umweltbelastender als angekündigt. Eigentlich hatte Italien den Zuschlag für diese Spiele 2019 deshalb erhalten, weil es „Spiele im Zeichen der Nachhaltigkeit“ sein sollten. Auch LH Kompatscher und der Südtiroler CONI-Chef Tabarelli hatten die Südtiroler Teilnahme daran mit „Nachhaltigkeit“ begründet: das Biathlon-Zentrum in Antholz sei schon olympiatauglich und über ÖPNV erreichbar, weshalb es keine zusätzlichen Anlagen brauche.

Nach und nach stellte sich heraus, dass doch fast 40 Mio. Euro in die Erweiterung des Biathlonzentrums investiert werden müssen, dass mit sog. Olympiageldern flächenfressende Ausfahrten nach Olang und Antholz gebaut und Speicherbecken für die Schneekanonen in die Landschaft gegraben werden sollen. Wenn die Olympischen Spiele 2026 so nachhaltig werden wie angekündigt, warum braucht es eine 100 Mio Euro teure Bobbahn in Cortina? Warum einen unterirdischen Ausbau des Stadions in Antholz? Wie werden diese Anlagen später genutzt? Welche Instandhaltungskosten kommen auf die Gemeinde Rasen-Antholz zu? Welche Mobilitätsbelastung und Energieverbrauch entstehen beim Betrieb der Anlage? Ist jemals eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung und Ökobilanz für diese Investitionen erfolgt? Wo bleibt das Recht der Bürgerschaft, Pläne einzusehen, bevor dutzende Millionen an Steuergeld verbaut werden?
Weder das Land noch die betroffene Gemeinde haben darauf bisher schlüssige Antworten geliefert noch glänzen sie mit viel Transparenz. In zwei Veranstaltungen im Jänner und Februar 2023 in Oberrasen haben hunderte Bürger:innen mehr Information und Beteiligung gefordert. Unklarheit besteht nicht nur über die Art des Ausbaus der Zufahrten, sondern auch über die Dimension und Nachhaltigkeit des Biathlon-Stadions. Wie geht ein verstärkter Betrieb mit zahlreichen jährlichen Großevents zusammen mit der klaren Vorgabe des Klimaplans Südtirol 2040, die motorisierte Individualmobilität bis 2040 um 40% zu senken. Sie müsste also von heute im ganzen Land bis 2040 um 2,35% jährlich sinken nicht steigen.
Wenn Olympia Mailand-Cortina 2026 wirklich „nachhaltig“ ausgetragen werden soll – im Unterschied zu den Milliardengräbern aus Beton in China, Korea und Turin 2006 – müsste jede Investition streng auf Umwelt- und Klimaverträglichkeit geprüft werden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: für die Bauvorhaben für Olympia Mailand-Cortina 2026 gilt ein abgekürztes Verfahren ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, sind die Trägerkörperschaften Fondazione Milano Cortina 2026 und Infrastrutture Milano Cortina 2026 Spa mit besonderen Vollmachten ausgestattet worden.
So sieht es danach aus, dass gleich alle drei Ziele verfehlt werden, die die italienischen Bewerber dem IOC bei der Kandidatur 2019 zugesagt haben:
• Olympische Spiel mit Null Zusatzkosten: bisher sind über 4 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern verplant. Mit dem Haushaltsgesetz 2023 hat die Regierung soeben weitere 400 Mio. Euro für Olympia zweckgebunden.
• Nachhaltige Spiele: die von Gesetz wegen verpflichtende VAS (valutazione ambientale strategica) und die UVP auf regionaler Ebene werden unterlaufen. Man liefert gar nicht den Nachweis, dass an diesen Bauten etwas umweltverträglich sei.
• Olympische Spiele mit Bürgerbeteiligung: die Abwicklung der Investitionen ist einem Sonderkommissar übertragen worden, womit Bürgereinwände und Klagen umgangen werden. Die meisten Vorhaben unterliegen der Geheimhaltung.
Es wird immer wahrscheinlicher, dass auch in Mailand Cortina (mit Antholz) 2026 das eintritt, was die meisten anderen Mitbewerber im Vorfeld zum Verzicht bewogen hatte: zu viel verpulvertes öffentliches Geld, unnötige Eingriffe in die Landschaft, zu viele überdimensionierte und dann nicht mehr genutzte Anlagen danach, die starke Belastung des ganzen Gebiets für einige Wochen, der geringe Nutzen für die einheimische Bevölkerung und Wirtschaft. Dazu kommt der ignorierte Klimaschutz: der Alpenraum leidet heute schon unter zu viel Verkehr, zu wenig Schnee, Wasserarmut, Überbeanspruchung seiner Ressourcen, Gefährdung seiner Artenvielfalt. Megaevents mit viel Beton und Mobilität sind gar nicht mehr vereinbar mit konsequentem Klimaschutz. Winterspiele mit Kunstschnee-Installierungen zwischen Blechlawinen passen nicht mehr in die Zeit.
Thomas Benedikter
21.2.2023


WENIGER RINDER, WENIGER TREIBHAUSGAS

Wenn schon Subventionierung, dann umwelt- und klimaverträglich

Die Zahl der in Südtirol gehaltenen Rinder ist 2022 von rund 124.500 auf 118.419 gesunken. Im Vergleich zum Vorjahr gab es Anfang 2023 auch 2000 Schafe und 2000 Ziegen weniger (DOLOMITEN, 1.2.23). Das hängt auch damit zusammen, dass in Südtirol viele Nebenerwerbs-Milchbauern nur 5 oder weniger Kühe halten, was immer unrentabler geworden ist. Fürs Klima ist das eine gute Nachricht, denn im Bereich Landwirtschaft sind die Kühe die Hauptverursacher von Treibhausgas, vor allem des sehr klimaschädlichen Methans.

Einer der Hauptgründe für den leichten Abbau des Rinderbestandes sind die steigenden Kosten bei Energie, Futtermittel und Dünger. Die Mehrkosten könnten nicht voll auf die Verbraucher abgewälzt werden, so SBB-Obmann Tiefenthaler (DOLOMITEN, 1.2.2023), und müssten von den Betrieben getragen werden. So habe sich der Stickstoffdünger um über 60% verteuert, weil für die Produktion viel fossile Energie benötigt wird. Die Grünlanddüngung wirkt sich über die Emission von Lachgas (Distickmonoxid) und die Immission von Nitraten direkt auf Umwelt, Wasser und Klima aus. Weniger Überdüngung ist wiederum eine gute Nachricht fürs Klima.
Die gesamte Kostensteigerung in der Landwirtschaft – laut Coldiretti 2022 bei 23% - stellt einerseits die bäuerlichen Betriebe vor enorme Probleme, andererseits ist sie ein unvermeidlicher Schritt zur Kostenwahrheit in diesem Bereich. Wenn der Verbrauch fossiler Energie und die Emission von klimaschädlichen Gasen (CO2, Methan, Lachgas) verringert werden sollen, um das Klima zu entlasten, müssen sich die Kosten der Milch- und Fleischproduktion den realen Kosten annähern. Mehr Kostenwahrheit führt zur relativen Verteuerung emissionsintensiver Produkte und zur Verbilligung von Produkten, die mit weniger Energieaufwand und importierten Vorleistungen hergestellt werden. Wenn die viel zu hohen Futtermittelzukäufe nicht abnehmen, werden weiterhin in Europa und vor allem im Globalen Süden riesige Flächen durch Futtermittelanbau der Produktion von Nahrungsmitteln für Menschen entzogen, werden riesige Flächen entwaldet und schaden damit doppelt dem Klima.
Konsequenter Klimaschutz, wie ihn auch die EU mit dem Green Deal zu propagieren vorgibt, kann nur mit Kostenwahrheit und ehrlichen Öko- und Klimabilanzen der einzelnen Kulturarten funktionieren. Im Klartext: wenn das gesamte Ernährungssystem klimaverträglicher werden soll, müssen sich Fleisch, Fisch, Milch, Milchprodukte verteuern, pflanzliche Produkte verbilligen. Dann werde die Schmerzgrenze bei den Verbrauchern bald erreicht sein, meint die Obfrau des Sennereiverbands Anni Kaser (DOLOMITEN 1.2.23). Muss sie, lautet die Antwort, damit die Verbraucherinnen auf andere Produkte vor allem pflanzlicher Art umsteigen und damit nicht nur dem Klima, sondern auch ihrer Gesundheit und Brieftasche etwas Gutes tun. Schon heute werden die Marktpreise der Lebensmittel durch die staatliche Subventionierung massiv verzerrt. 2018 flossen vom Land Südtirol 223,6 Mio Euro nur an die Landwirtschaft, vor allem an die Tierhalter. Allein die EU wird bis 2027 hunderte Millionen Euro vor allem an die Südtiroler Berglandwirtschaft zahlen. Diese öffentliche Unterstützung ist aus sozialen Gründen durchaus gerechtfertigt. Die Notwendigkeit der Erhaltung der Bergbauernhöfe, der Pflege der Kulturlandschaft, der Sicherung der ökologischen Funktion der Almen und der Erhaltung der kulturellen Identität Südtirols seien überhaupt nicht bestritten. Subventionen sind auch deshalb angesagt, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Bergbauern mit ihren schwierigen Produktionsbedingungen gegenüber den Flachlandbetrieben erhalten bleiben muss.
Andererseits ist das Ausmaß der heutigen Milch- und Fleischproduktion, der Tierhaltung insgesamt mit konsequentem Klimaschutz nicht vereinbar, was die EU durchaus erkannt hat und auch der Klimaplan Südtirol 2040 anstrebt: „Ziel ist es, die N2O-Emissionen bis 2030 zu halbieren, die Methanemissionen bis 2030 um 30% zu reduzieren und die Energie am Hof zu 80% aus erneuerbarer Energie zu bestreiten. (…). Bis 2037 sollen die N2O-Emissionen auf 30 % des Wertes von 2019 sinken“ (S.34). Wenn die Steuerzahler diese Form von kleinbäuerlicher Berglandwirtschaft aus übergeordneten Gründen erhalten sollen, warum mit klimaschädlicher Produktion, nämlich der nicht grundfutterbasierten Tierhaltung? Das Klimaargument mag abstrakt sein (dabei ist allerdings die Durchschnittstemperatur im Alpenraum schon um 2° gestiegen), aber auch die Bauern werden verstehen müssen, dass sie auch ihren Teil zum Klimaschutz beitragen müssen.
Eine nachhaltige Agrarpolitik muss überall überzogenen Viehbestand auf ein klimaverträgliches Maß reduzieren, aber den bäuerlichen Familien eine Ausgleich für die Einkommensverluste gewährleisten, entweder über den Preis oder über Direktbeiträge. Doch macht die direkte Subventionierung von Treibhausgasemissionen aus sozialen Gründen keinen Sinn. Da wäre es weit zielführender, den Bergbauern mehr Geld für weniger Rinder zu geben.
Thomas Benedikter
14.2.2023


TRENTINO-SÜDTIROL NUR IM MITTELFELD

Das Ranking der Regionen Italiens beim Klimaschutz

Wie kommen die Regionen Italiens beim Klimaschutz voran? Alljährlich bringt Italy for Climate den Regionenvergleich bei Energieverbrauch, Erneuerbaren Energien und CO2-Emissionen, die gemäß Territorialansatz gemessen werden. Es zählen also die Emissionen aus fossilen Energieträgern und andren Treibhausgasquellen, die auf dem jeweiligen Regionsterritorium verursacht, verbrannt und erfasst werden.

Italien weist insgesamt Emissionen von „nur“ 4,9 t CO2 pro Kopf aus, wobei 9 Regionen unter dem nationalen Durchschnitt liegen, 11 Regionen darüber. Überraschend positiv Kampanien (2,1 t CO2/Einwohner) und Latium (3 t CO2/Einwohner). Dabei steht in Latium noch eines der größten Kohlekraftwerke Italiens, die größten Ruß- und CO2-Schleudern überhaupt. Die Kohleverstromung ist auch der Grund, warum Sardinien mit 9 t CO2/pro Kopf den höchsten Emissionswert pro Kopf aufweist. Relativ bescheiden hingegen der CO2-Ausstoß der industriellen Kernregion Lombardei. Dort verzeichnete man 2020 den gleich hohen THG-Emissionswert pro Kopf wie jenen der Region Trentino-Südtirol, nämlich 5,1 t CO2/Kopf. Laut Klimaplan liegt Südtirol für sich genommen bei nur 4,4 CO2 t.
Nicht nur der Energieverbrauch wirkt sich auf den regionalen CO2-Ausstoß aus, sondern auch der Anteil der erneuerbaren Energie auf den Gesamtverbrauch der jeweiligen Region. Der Energieverbrauch liegt in Südtirol zwar höher als der nationale Durchschnitt, aber 67% davon wird mit erneuerbarer Energie gedeckt (90% davon aus Wasserkraft). In Süditalien wird weniger Energie benötigt, aber zum Großteil aus fossilen Brennstoffen. Was allerdings aus dem Ranking nicht hervorgeht, sind die Effekte des Verbundsystems. Ein hoher Anteil des in Südtirol verbrauchten Stroms wird nämlich an Restitalien bezogen. Der entsprechende Energiemix beträgt bei ALPERIA 35:65, stammt also nur zu 35% aus erneuerbaren Quellen. Dieser Umstand müsste aus der Statistik herausgerechnet werden.

Quelle: Italyforclimate
Quelle: Italyforclimate
Drei Schlüsselparameter werden im Report „La corsa delle regioni verso la neutralità climatica 2022” betrachtet: die CO2-Emissionen, der Energieverbrauch, der Anteil der Erneuerbaren Energie am Gesamtverbrauch. Ausgehend vom Stand 2020 sind die Verbesserungen 2018-2020 erfasst worden. In 18 von 20 Regionen sind Emissionen und Energieverbrauch 2020 gesunken. Doch das war ein Ausnahmejahr. Bei Betrachten des Rankings lassen sich drei Gruppen von Regionen beobachten:
1. Die Spitzenreiter mit Kampanien, Kalabrien und Latium haben relativ geringe pro-Kopf-Emissionen und pro-Kopf-Energieverbrauch.
2. 10 Regionen des „Mittelfelds“ positionieren sich gut bei den erneuerbaren Energie, aber mehr Schatten als Licht gibt es bei der Entwicklung des Energieverbrauchs und damit auch der CO2-Emissionen. Dazu gehört auch Trentino-Südtirol (leider keine getrennte Betrachtung verfügbar).
3. Die anderen 7 Regionen schneiden bei allen drei Parametern unterdurchschnittlich ab.
Bei den erneuerbaren Energie bietet sich ein sehr differenziertes Bild: während Ligurien nur 8% seines Bedarfs mit erneuerbaren Energie deckt, liegt die Quote im Aostatal bei 105%, in Südtirol bei 67%. In 11 Regionen ist diese Quote 2018-2020 gestiegen, doch besorgniserregend ist, dass sie in neun Regionen gesunken ist. Trentino-Südtirol, das Aostatal, die Basilikata, Kalabrien und Molise sind die 5 Musterknaben mit über 40% Erneuerbare Energie am Gesamtenergieverbrauch. Doch hinkt Südtirol bei der Photovoltaik deutlich hinterher. Dafür haben wir den höchsten Motorisierungsgrad im ganzen Stiefel: 1.079 PKW pro 1000 Einwohner, das bedeutet mehr al sein Auto pro Bewohner.
Trotz des leichten Rückgangs der CO2-Emissionen 2020-21 während der Pandemie müssen sich alle Regionen Italiens beim Klimaschutz stärker ins Zeug legen, so der Report „La corsa delle regioni verso la neutralità climatica 2022”. Andernfalls werden die Einsparungsziele für 2030, zu welchen sich Italien verpflichtet hat, nicht erreicht. Bis heute steht aber nicht fest, wieviel jede Region zum Reduktionspfad insgesamt beizutragen hat, d.h. es gibt keine verbindliche Vorgabe z.B. für Südtirol, wie viel CO2 es in welcher Zeit einzusparen hat.
Thomas Benedikter
7.2.2023



WAS IST „GRAUE ENERGIE“?

Die konsumbasierten Treibhausgasemissionen

Als „graue Energie“ eines Produktes bezeichnet man jene Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung aufgewendet wird. Dabei werden alle Vorprodukte als auch die in der Produktion verbrauchte Energie berücksichtigt. Wenn zur Herstellung Maschinen oder Infrastrukturen notwendig sind, wird üblicherweise auch der anteilige Energiebedarf für deren Herstellung und Instandhaltung in die „graue Energie“ des Endprodukts einbezogen. Das „Produkt“ kann auch eine Dienstleistung wie z.B. der Tourismus sein. Graue Energie ist somit der indirekte Energiebedarf durch die Her- und Bereitstellung einer Ware oder Dienstleistung, im Gegensatz zum direkten Energiebedarf bei deren Benutzung.

Graue Energie kann viele Farben haben. Mal ist sie schwarz wie Kohle, mal gelb wie Solarstrom. Um zu beurteilen, wie umweltschädlich die in einem Produkt steckende graue Energie ist, muss man auch berücksichtigen, welche Farbe sie hat. Fällt sie in Form von Erdöl oder Kohle an, sind pro Kilowattstunde viel mehr THG-Emissionen damit verbunden, als wenn sie in Form von Solar- oder Windstrom anfällt. Eine mit Solarstrom hergestellte PV-Zelle hat einen viel kleineren ökologischen Fußabdruck mit als eine PV-Zelle, die mit Kohlestrom produziert wurde. Da der Strommix, mit dem Solarzellen produziert werden, immer ökologischer wird, verursachen diese immer weniger graue Emissionen.
Das derzeitige System der Erfassung von THG-Emissionen auf nationaler und regionaler Ebene stellt jedoch auf den Verbrauch fossiler Energieträger im jeweiligen Territorium ab (sog. Inlandsprinzip). Dabei werden nur jene fossilen Energien und andere Quellen erfasst, die auf dem Gebiet der Provinz verkauft und verbraucht werden. Das gilt auch für Südtirol, das im Klimaplan Südtirol 2040 diesen rein „territorialen Ansatz“ verwendet. Die Auslagerung emissionsintensiver Industrien und der „Emissionsrucksack“ importierter Güter und Dienstleistungen werden dabei nicht berücksichtigt.

Graue Emissionen fallen für eine importabhängige Regionalwirtschaft wie Südtirol stark ins Gewicht, vor allem wegen der Emissionen, die bei der Herstellung der importierten Waren entstehen. Die Transporte machen den kleineren Teil aus. Die internationale Arbeitsteilung in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen haben nämlich zu einer hohen räumlichen Differenzierung von Produktion und Konsum geführt. Ein wachsender Teil der Umwelt- und Klimabelastungen, die durch unseren Konsum und Lebensstil verursacht werden, erfolgt nicht in Südtirol, sondern in anderen Regionen, Ländern und Kontinenten. Einsparungen bei den direkten THG-Emissionen vor Ort werden oft durch verstärkte Importe und der darin versteckten grauen Energie zunichte gemacht.

Ein Beispiel: ein beträchtlicher Teil des in Südtirol verbrauchten Stroms wird aus Restitalien bezogen. Dieser Strom wird (2020) nur zu 35% aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt (vgl. ALPERIA Smart Services). Somit müssten die THG-Emissionen dieses Anteils des Stromverbrauchs Südtirol in Rechnung gestellt werden, obwohl die Südtiroler Stromerzeugung aus der Wasserkraft zu 54% exportiert wird. (3.188 kWh auf 6.100 kWh im Jahr 2019). Umgekehrt wird z.B. in China weit mehr an Industrieprodukten erzeugt als das Land selbst verbraucht. Die Produkte werden z.B. hier gekauft, genutzt und entsorgt, die THG-Emissionen aber China zugeordnet.

Wenn die graue Energie nicht berücksichtigt wird, entsteht häufig ein falsches Bild der Wirklichkeit. So z.B. sind in Südtirol 602.728 Kfz gemeldet gleich 114 pro 100 Einwohner (vgl. ASTAT Jahrbuch 2021, S. 450), ohne dass es im Land eine nennenswerte Produktion von Kfz (PKW, Motorräder, LKW, Traktoren) gäbe. Die mit der Herstellung dieser Geräte verbundenen Emissionen müssten eigentlich Südtirol angelastet werden, wo die Nutzung erfolgt, nicht der Standortregion, in welcher das Fahrzeug hergestellt worden ist. Die Rechnung ist insofern komplexer, als Motorfahrzeuge heute aus tausenden Einzelbestandteilen bestehen, die aus verschiedenen Produktionsstandorten angeliefert werden. Ein nur territorial bezogener oder nur produktionsstandortbezogener Ansatz gibt somit in einem eng verflochtenen Binnenmarkt wie jenem der EU immer ein verzerrtes Bild der Emissionen.

Beispielweise gilt die Schweiz als relativ klimafreundliches Industrieland, weil sie nur 7,2 t CO2eq pro Kopf und Jahr emittiert. Bei Berücksichtigung aller Importe und Exporte, d.h. aller „grauen Emissionen“ käme die Schweiz jedoch auf 12,5 t CO2eq im Jahr pro Kopf (vgl. Bundesamt für Umwelt). Für Österreich mit 8,9 t CO2eq pro Kopf und Jahr zeigen Daten zu den konsumbasierten Emissionen, dass diese zu 50-60% über den produktionsbezogenen (territorialen) Emissionen liegen (vgl. Climate Change Center Austria).

Ähnlich könnte die Realität in Südtirol aussehen. Hier setzt der aktuelle Klimaplan gemäß territorialem Ansatz 4,4 t CO2eq pro Kopf im Jahr an. Geht man vom CO2-Fußabdruck aus, kommt die KlimaHaus-Agentur einschließlich der im Konsum enthaltenen THG-Emissionen auf 7,37 t CO2eq pro Kopf im Jahr. Würde man alle Exporte und Importe bilanzieren, auch den Verbrauch an fossil erzeugtem Strom und eine verursachergerechte Ökobilanz der Waren- und Dienstleistungsströme, wären es noch mehr als 7,37 t CO2eq und näher bei den Emissionswerten der Schweiz und Österreichs. Ohne diese Energie und Importe wäre das System Südtirol in wenigen Tagen am Ende. Die Ökobilanz ist einfach nicht vollständig.

Im Klimaplan bildet die Graue Energie ein eigenes Aktionsfeld (6.9, S.39). Bis Ende 2023 soll ein Rechenwerk mit den wichtigsten Typen von indirekten Energieimporten und Exporten erstellt werden. Eine solche „Energiebilanz“ einschließlich der grauen Energien soll dann die Emissionen aus den Konsumgütern besser sichtbar werden lassen.

Thomas Benedikter
31.1.2023



Wo liegt die „baseline“?

Die Messung der Treibhausgasemissionen in Südtirol

Laut „Klimaplan Südtirol 2040“ soll unser Land 2040 klimaneutral werden. Doch wir wissen immer noch nicht genau, wieviel heute jeder Bewohner dieses Landes im Jahr an Treibhausgasen emittiert. Wie sieht dann der Reduktionspfad bis 2040 aus?
Klimaneutralität würde bedeuten, dass bei den Südtirol zuordenbaren Treibhausgasemissionen (THG) die „Nettonull“ erreicht wird. Das heißt, in Südtirol dürften 2040 nur mehr so viele THG ausgestoßen werden, wie durch CO2-Senken absorbiert und durch im Ausland finanzierte CO2-Senken kompensiert wird. Was als CO2-Senke einem Territorium angerechnet werden darf, ist international umstritten. Neutral könnte man mit 1 t oder 1,5 t pro Kopf im Jahr sein, kaum mehr. Bei 1,5 t lag das vom alten Klimaplan 2011 für 2050 gesetzte Ziel.


Doch wieviel THG setzt Südtirol derzeit jährlich frei? Wo liegt die „baseline“, der Ist-Stand bei den Emissionen, den wir in 17 Jahren auf Nettonull zu schrumpfen haben? Dazu schweigt sich der Klimaplan Südtirol 2040 aus und bringt auch keine Projektionen zum Zielpfad in Richtung Klimaneutralität 2040. Weder als t CO2 pro Kopf im Jahr noch als Gesamtwert in t scheinen die aktuellen Emissionen auf. Zudem wird auf eine Analyse der bisherigen Entwicklung des CO2-Ausstoßes verzichtet, die seit 2011 ganz und gar nicht rosig ausgesehen hat.
Im Klimaplan Südtirol 2040 wird zudem auf eine Analyse des heutigen Gesamtenergieverbrauchs und der bisherigen Entwicklung des Stromverbrauchs verzichtet, im Unterschied zum Bundesland Tirol (Land Tirol, Energie-Zielszenario Tirol 2050 und 2040 mit Zwischenstand 2030, Endbericht vom Sept. 2021). Die Dauerleistung pro Einwohner stieg in Südtirol von 2011 bis 2019 auf 3000 Watt, während der Klimaplan 2011 noch 2500 Watt als Zwischenziel für 2020 und 2200 Watt als Zielwert für 2050 postuliert hatte. Als nachhaltig wird, nach verbreiteter Auffassung, eine Dauerleistung von höchsten 2000 Watt pro Person im Jahr betrachtet, was 17.520 kWh oder rund 1700 Liter Heizöl oder Benzin (Endenergie) pro Jahr und Person entsprechen würde. Somit noch viel Luft nach oben.
Die Angabe des Ist-Zustands der Emissionen ist für die Zielerreichung von großer Bedeutung. Läge er heute tatsächlich bei 4,4 t CO2 pro Kopf, würde die Reduktion auf 1,5 t CO2 (gleich Klimaneutralität) einen Abbau von 2,9 t CO2 bedeuten. Geht man hingegen von den von der EURAC berechneten 7,37 t CO2 (vgl. EURAC-Klimareport 2018) aus, dann müssten bis 2040 nahezu 6 t CO2 pro Kopf abgebaut werden. Liegt Südtirol - wie anzunehmen - mit 6,4 t CO2 pro Kopf im Jahr etwa gleichauf mit Tirol, wären bis 2040 fast 5 t CO2 Kopf abzubauen. Das macht einen gewaltigen Unterschied, wenn man bedenkt, dass Südtirol bisher die THG-Emissionen pro Kopf nur sehr wenig zurückgefahren hat.
Das Fehlen eines klaren Zahlenwerks bzw. eines quantifizierten Zielpfads bildet einen gravierenden Mangel des Klimaplans 2040 (Teil 1). Im spezifischen Teil des Plans, so der Klimaplan Teil 1 (S.7) soll die statistische Grundlage ausgeweitet werden, um die Maßnahmen mit Zahlen zu untermauern und eine klar bestimmte „baseline“ (Ist-Zustand heute) für die Überwachung der Umsetzung des Klimaplans zu haben. In einem eigenen bis 2023 zu erstellenden Rechenwerk sollen die quantitativ wichtigsten Typen von indirekten Energieimporten und Energieexporten erfasst werden.
„Für alle Ebenen sind die erwarteten absoluten und prozentuellen Veränderungen bis 2030 und 2037 zu ermitteln“, verlangt der Klimaplan 2040 (S.15), damit „man den Fortschritt genau verfolgen und, wo notwendig, sehr nahe bei den verantwortlichen Stakeholdern noch nachjustieren kann.“ Nur wenn Abweichungen rasch erkannt und Ursachen identifiziert werden, kann auf die Abweichungen angemessen reagiert werden, schlussfolgert der Klimaplan (S.15). Warten wir’s ab.
Thomas Benedikter
24.1.2023