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POLITiS Studienkreis
30.01.2014

Wahlrechtsreform in Bürgerhand?

In Rom arbeitet man fieberhaft an einem neuen Wahlgesetz. Leider hat die Geschichte Italiens und anderer Demokratien gezeigt, dass Parteien immer versucht sind, das Wahlrecht den eigenen Interessen anzupassen. Eine Petition weist in dieser Situation einen neuen Weg.
Am 4. Dezember 2013 hat das Verfassungsgericht das Porcellum-Gesetz gekippt. Nun muss schnellstens ein neues Wahlgesetz her, woran Parlamentarier und Parteigremien schon fieberhaft arbeiten. Doch befindet sich jede Partei und Parteienkoalition inner- und außerhalb des Parlaments bekanntlich in einem Interessenkonflikt, wenn es ums Wahlgesetz geht. Wird sie das bestmögliche Wahlsystem für die Bürger vorlegen oder ein Gesetz auf sich selbst maßschneidern? Leider hat die Geschichte Italiens und anderer Demokratien gezeigt, dass Parteien immer versucht sind, das Wahlrecht den eigenen Interessen anzupassen. Eine Petition weist in dieser Situation einen neuen Weg.
Es gibt schon erprobte Verfahren, diesen Interessenkonflikt aufzulösen. In verschiedenen Ländern ist die Ausarbeitung des Wahlgesetzes für die Parlamentswahlen einer Versammlung von Bürgern anvertraut worden, die per Zufall aus dem Wählerverzeichnis gewählt wurden. Einer mit Zufallsverfahren bestimmten Bürgerversammlung Entscheidungsmacht für spezielle Gesetze zu verleihen, ist geschichtlich gesehen gar nicht neu. Schon die gesetzgebende Versammlung (bulé) des alten Athen bestand aus 500 zufällig ausgewählten männlichen Bürgern.

Zusammensetzung und Funktionsweise der Bulé von Athen

In der Zeit der italienischen Stadtrepubliken des Mittelalters gab es derartig zusammengesetzte Stadtversammlungen in Florenz, Orvieto, Siena, Pistoia, Perugia, Lucca und sogar die Dogen Venedigs wurden auf diese Weise gewählt. "Tratta" von Florenz; Die Wahl der Dogen von Venedig

Im kanadischen British Columbia wurden 2004 per Zufallsverfahren 160 Bürger und Bürgerinnen mit der Abfassung des neuen Wahlgesetzes beauftragt, das anschließend einem Referendum unterworfen wurde. Dasselbe geschah auch in Ontario 2007. Citizens' Assembly on Electoral Reform British Columbia; Citizens' Assembly on Electoral Reform Ontario

2009 erstellte eine Versammlung aus 150 zufällig ausgewählten Bürgern und Bürgerinnen in Australien Empfehlungen zur Änderung des politischen Systems im Interesse der Bürger und übergab sie feierlich dem Parlament. Das Bürgerparlament Australiens

Der Bürgerhaushalt der Gemeinde Capannori (Lucca) ist 2011, 2012 und 2013 von 90 zufällig ausgewählten Bürgern erarbeitet worden. Bilancio Socio Partecipativo Capannori

Die Petition

In diesem Sinn hat der Demokratie-Aktivist Paolo Michelotto (Rovereto) eine Petition mit folgendem Vorschlag verfasst, die jedermensch unterzeichnen kann.
Es soll eine entscheidungsbefugte Versammlung aus 500 italienischen Staatsbürgern gebildet werden, die per geschichtetem Zufallsverfahren aus den Wählerlisten ausgewählt werden, um die Zusammensetzung der Bevölkerung zu spiegeln.
  • Dieser Versammlung muss alle notwendige fachliche Unterstützung seitens Experten zur Seite gestellt werden.
  • Die 500 Mitglieder erhalten eine angemessene Vergütung für ihren Zeitaufwand und ihre Mitarbeit.
  • Sie tagt permanent bis zur Verabschiedung mit Mehrheitsbeschluss eines neuen Wahlgesetzes.
  • Das ganze Verfahren wird öffentlich und transparent abgewickelt.
  • Alle übrigen Bürger und Bürgerinnen können ihre Vorschläge und Kommentare über alle technisch möglichen Kanäle bei der Versammlung deponieren.
  • Die dergestalt von der Versammlung ausgearbeitete Wahlrechtsreform wird einem bestätigendem Referendum unterworfen.


https://www.change.org/it/petizioni/parlamento-e-media-italiani-nuova-legge-elettorale-scritta-dai-cittadini-e-approvata-con-referendum

O-Text: Paolo Michelotto. Übersetzung: Thomas Benedikter
 

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